Wie fangen gute Romane an?

Ein Beispiel:

Draußen, vor dem Fenster, ein Schneegestöber, die Bewegung des Windes ist so stark, dass die Flocken fast waagrecht wie kleine Geschosse vorüberfliegen. Ich sitze im Zimmer und höre Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 in C-Dur, eine Verlautbarung am Klavier, fern herüberkommend von einem Mann namens Mozart, der gewusst haben muss, dass Musik den zuhörenden Menschen sammelt und zusammenhält, minutenlang, stundenlang. Draußen Schneegestöber, innen Mozart: So könnte es bleiben. Der zweite Satz ist sentimental, aber dennoch schön, düster, aber nicht verzweifelt, zart, aber nicht weich, schmerzlich, aber gefasst. Der Wind drückt die Flugbahn der Flocken ein wenig nach oben; es sieht aus, als flöge der Schnee wieder in den Himmel hinauf! An dem Birnbaum im Garten gegenüber ist bis heute eine Birne hängen geblieben; als es Zeit dafür war, ist sie nicht vom Ast gefallen. Die Birne könnte mein Vorbild werden: Auch ich möchte vergessen, worauf ich warte. Jetzt ist sie tiefbraun und fleckig und schwer geworden. Eine Amsel fliegt herbei und lässt sich dicht neben der Birne nieder; sie schaut ein paar Mal umher und stößt dann von oben mit dem Schnabel in sie hinein. Die Birne wackelt, aber sie fällt nicht. Die Amsel fliegt auf und verschwindet.

(Wilhelm Genazino: Der Fleck, die Jacke, die Zimmer, der Schmerz. Roman)

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