Theodor Fontane: Der Stechlin

Fontanes Spätwerk zähle ich zu den besten Romanen deutscher Sprache, weil er ästhetisch und strukturell viele unterschiedliche Aspekte elegant kombiniert und gleichzeitig den realistischen Roman formal transzendiert. Worum es in dem Buch geht, hat der Autor bereits hübsch zusammengefasst:

In einem Waldwinkel der Grafschaft Ruppin liegt ein See, „Der Stechlin“. Dieser See, klein und unbedeutend, hat die Besonderheit, mit der zweiten Welt draußen in einer halb rätselhaften Verbindung zu stehen und wenn in der Welt draußen „was los ist“, wenn auf Island oder auf Java ein Berg Feuer speit und die Erde bebt, so macht der „Stechlin“, klein und unbedeutend wie er ist, die große Weltbewegung mit und sprudelt und wirft Strahlen und bildet Trichter. Um dies – so ungefähr fängt der Roman an – und um das Thema dreht sich die ganze Geschichte. Dem wäre hinzuzufügen, daß der Titelname „Stechlin“ See, Dorf und Gut sowie die dort residierende Adelsfamilie umfaßt.

Obwohl Fontane hier mit dem See ein wichtiges Symbol anspricht, war ihm sehr bewusst, wie unwichtig diese Oberfläche eigentlich literarisch ist. So schreibt er in einem Brief an den Verleger Adolf Hoffmann:

Aber die Geschichte, das was erzählt wird. Die Mache! Zum Schluß stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich;- das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Von Verwicklungen und Lösungen, von Herzenskonflikten oder Konflikten überhaupt, von Spannungen und Überraschungen findet sich nichts. Einerseits auf einem altmodischen märkischen Gut, andrerseits in einem neumodischen gräflichen Hause (Berlin) treffen sich verschiedene Personen und sprechen da Gott und die Welt durch. Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, und mit ihnen die Geschichte. Natürlich halte ich diese nicht nur für die richtige, sondern sogar für die gebotene Art, einen Zeitroman zu schreiben, bin mir aber auch bewußt, daß das große Publikum sehr anders denkt und Redaktionen – durch das Publikum gezwungen – auch.

Was wir also lesen ist ein viele Gattungsregeln sprengender Konversationsroman. So wie Beethoven in seinem Spätwerk Teile der Tonalität überwindet oder Turner in seinen späten Gemälden sich bereits abstrakter Elemente bedient, lässt Fontane die Konventionalität des realistischen Romans hinter sich. Diese Subversität setzt sich im Inhaltlichen fort: Mag die Handlung auch überwiegend auf Adlige als Protagonisten setzen, so ist die politische Linie des Romans keinesfalls konservativ. Einerseits ist unser alter Stechlin ein Musterbeispiel an humaner Liberalität und andererseits werden die politisch konservativen Figuren wenig vorteilhaft geschildert. Pastor Lorenzen ist einer der Hauptsympathieträger und vertritt einen christlichen Sozialismus. Wir werden Zeugen einer sterbenden sozialen Schicht. Zwar porträtiert Fontane gerade seinen märkischen Helden als einen rund herum großen Charakter und schafft mit Dubslav von Stechlin damit eine der einprägsamsten Figuren der deutschen Literatur, er zeigt diese Gesellschaftsschicht aber auffallend als „arbeitslos“. Auch der Berliner Pol der Geschichte zeigt die Adligen dort nie in irgendeiner gesellschaftlich produktiven Tätigkeit. Implizit eine sehr scharfe Kritik an diesem spätfeudalistischen Gebaren.

Über den Konversationalismus und die hervorragenden Dialoge hinaus, sind auch die anderen wichtigen Elemente des Romans strukturell hervorragend gelöst. Die vielen Gegenüberstellungen im Text, wie Stadt/Land, Wissenschaft/Religion und die gegenpolig kombinierten Figuren wirken nie künstlich komponiert.

Theodor Fontane: Der Stechlin

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