Macropaedia Nr. 27, S. 436 (1997)
Der Artikel ist ein schönes Beispiel dafür, dass Qualität sogar auf enzyklopädischem Gebiet eine gewisse Dauerhaftigkeit garantiert, starb doch dessen Verfasser Alfred Edward Taylor bereits 1945. Trotzdem findet man seinen Beitrag auch noch in der Britannica-Ausgabe des Jahres 1997.
Wie nicht anders zu erwarten, bieten (umgerechnet) ca. 16 Buchseiten einen fundierten Einblick in die sokratische Problematik. Taylor hat eine wesentlich ausgewogenere Sicht auf die Ursachen von Sokrates‘ Verurteilung als die Polemik von I.F. Stone. Trotzdem weist er – Jahrzehnte vor Stone – bereits auf den entsprechenden politischen Kontext hin:
But it is natural that he should have had to suffer for the crimes of both men [Alkibiades und Kritias], the more so because he had been an unsparing critic of democracy and of the famous democratic leaders and, furthermore, had not, like the advanced democrats, withdrawn from Athens during the „terror“.
Warum Taylor terror hier in Anführungszeichen setzt, mag sein Geheimnis bleiben. Wichtiger ist, dass er einerseits auf die Absurdität hinweist, den Lehrer für spätere Aktionen seiner Schüler direkt verantwortlich zu machen. Andererseits ist es lexikalisch erfrischend, dass Taylor die umstrittene Frage aufwirft, ob die Ideenlehre nicht doch direkt auf Sokrates zurückgeht, anstatt auf Platon, was der herrschenden Lehrmeinung widerspricht. Es wäre interessant, diesen Argumenten einmal in den Publikationen Taylors nachzugehen, die allerdings, wenig überraschend, vergriffen sind. Sollte ich in der Wiener Nationalbibliothek fündig werden, gelegentlich mehr dazu.