Endlich wieder ein lesbarer Grass! Nach dem verunglückten „Mein Jahrhundert“ und dem nicht nur formal problematischen „Ein weites Feld“ findet Grass wieder zu seinem alten Erzähltalent zurück. Durch zahlreiche Anspielungen nimmt er auf die Danziger Trilogie Bezug.
Uneingeschränkte Lesefreude will trotzdem nicht aufkommen. Zwar konnte Grass eine Reihe der literarischen Probleme lösen, die durch den schwer darstellbaren Gustloff-Stoff gegeben waren. So ermöglicht die Konstruktion eines Journalisten als durch ein alter ego von Günter Grass beauftragter Ghostwriter eine gewisse Distanz. Ferner wird der Vereinahmung des Buches durch Neonazis durch deren explizite Thematisierung vorgebeugt.
Allerdings ist das Buch keine Novelle, und mich verblüfft, dass dieses Gattungsproblem in den Feuilletons bis jetzt kaum thematisiert wurde. Man könnte zwar die historisch motivierte Ermordung eines sich fälschlicherweise als Juden ausgebenden Antifaschisten durch Konrad, dem in die rechte Szene abgedrifteten Sohn des Ich-Erzählers, als „unerhörte Begegebenheit“ im Sinn der Novellentheorie gelten lassen. Die Erzählweise, die der Titel zurecht als Krebsgang ankündigt, und die auf diverse, nicht immer befriedigend zu Ende ausgeführte Digressionen setzt, widerspricht der Novellenform vom Prinzip her. Auch ein Leitmotiv (wie noch in Katz und Maus) ist nicht auszumachen. Die Bezeichnung wurde wohl deshalb gewählt, weil einige Handlungsstränge für einen Roman zu dünn geraten sind (etwa der über den russischen U-Boot-Kommandanten).
Trotzdem sehr lesenswert und das gelungenste Werk von Grass seit „Das Treffen in Telgte“ (1979).
Günter Grass: Im Krebsgang. Novelle (dtv)