(Aus: Pawel, Das Leben Franz Kafkas, S. 184f.)
Es wahrte eine innere Distanz zu seinen Mitmenschen, war aber dennoch selten allein: man muß immer wieder die Rolle der Lektüre in Kafkas Leben betonen. Bücher waren seine wahren Lehrer, seine intimsten Freunde, manchmal allerdings auch seine gefährlichsten Feinde. „Manches Buch wirkt wie ein Schlüssel zu fremden Sälen des eigenen Schlosses“, schrieb er 1903 an Oskar Pollak.
Er liebte Bücher, liebte es, sie anzufassen oder sie einem Schaufenster ausgestellt zu sehen. Brod berichtet, daß Kafka seines Wissens nach niemals Bücher aus der reichhaltigen Bibliothek der „Lesehalle“ ausgeliehen habe, aber die alten kleinen staubigen Buchhandlungen der Stadt gehörten zu seinen liebsten Aufenthaltsorten, und sein ganzes Leben lang suchte er in Verlagsprospekten nach Lektüre, die ihn interessieren konnte. In anderer Beziehung sparsam, manchmal sogar ausgesprochen geizig, ließ er sich zu Extravaganzen hinreißen, wenn es um Bücher ging – und er hatte kein schlechtes Gewissen dabei [beneidenswert :-); CK]. Seinen Freunden gegenüber war er ausgesprochen großzügig; er überreichte ihnen gerne einen mit Bedacht ausgewählten Roman oder einen Band Gedichte als Geschenk. Aber er war kein Sammler, seine Gier wurde nicht durch antiquarische Raritäten oder schöne Einbände geweckt, sondern durch den Text, der sich zwischen den Buchdeckeln fand. Er kaufte die Bücher nicht nur, er las sie auch.
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Brod zählt einige von Kafkas frühen Lieblingsautoren auf: Goethe, Thomas Mann, Hesse und Flaubert, dazu eine Reihe von deutschen Klassikern des neunzehnten Jahrhunderts, Hebbel zum Beispiel, Fontane und Stifter […] Selbstverständlich wandelte sich Kafkas Geschmack im Laufe seines Lebens und seine Leidenschaft für Schriftsteller wie Flaubert, Hofmannsthal, Dickens, Dostojewkski, später Goethe, Kleist und Kierkegaard, bezeugt sein geistiges Wachstum.