Kulturjournalistische Reflexe

Die Wiener Stadtzeitung Falter gehört zum Besten, was der österreichische politische Journalismus hervorbringt, eigentlich ein Armutszeugnis für die journalistische Szene in Österreich, hier auf eine kleine Stadtzeitschrift angewiesen zu sein.

Der Kulturteil dieser Zeitschrift zeichnet sich (neben vorzüglichen Theaterkritiken) vor allem dadurch aus, dass die unterschiedlichsten Kunst- und „Kunst“-formen in einen großen Topf geworfen werden und diese unausgegorene Brühe nach kurzem Umrühren über die Leserschaft geschüttet wird. Klassik etwa kommt kaum vor, während mit einer erstaunlichen Akribie über die kleinsten Regungen der Popszene berichtet wird, als sei das von irgendeiner ästhetischen Relevanz.

(Exkurs: Über die Peinlichkeit von Nostagie-Rockkonzerten mit Senioren-Rockern, in denen gut situierte Frühpensionisten die herzerwärmenden Erinnerung an ihre „rebellische“ Jugend auskosten, in denen sie als gut situierte Bürgersöhne ihren harmlosen „Protest“ via Rockkultur zur Anschauung brachten, ließe sich auch einiges schreiben, aber darauf wollte ich nicht hinaus, jedenfalls ziehe ich hier die vergleichsweise ehrliche Verlogenheit des klassischen Musikbetriebs vor.)

Zurück zur aktuellen Falter-Ausgabe. Klaus Nüchtern widmet sich ausführlich dem neuen Roman von Jonathan Franzen, „Die Korrekturen“, den er in den höchsten Tönen löbt, um ihn dann als Vorschlaghammer gegen avanciertere literarische Formen zu missbrauchen:

Natürlich ist gute Literatur keine Frage nationaler Herkunft. Aber eine Entkrampfung der in der deutschen Kritik nach wie vor gepflogenen Verschränkung von Mainstream-Verachtung mit der Fetischisierung literarischer „Progressivität“, die zum permanenten Bruch mit ästhetischen und gesellschaftlichen Konventionen verpflichtet, wäre kein Fehler.

Seit Jahren wird diese inzwischen völlig unoriginelle Suada angestimmt, wenn ein guter amerikanischer Roman erscheint, so als sei es eine kulturjournalistische Heldentat mit einem erfolgreichen Millionen-Bestseller auf der literarischen Avantgarde herumzuhacken. Die literarisch anspruchvollsten Werke haben es nicht nur aus materiellen Gründen schwer genug, ihre Autoren leben in der Regel am Existenzminimum, und brauchen gerade seitens der Literaturkritik jede Unterstützung. Was Klaus Nüchtern hier macht, ist journalistischer Populismus der üblen Sorte, ein völlig überflüssiger ästhetischer Populismus, der sich mit dem Starken auf Kosten des Schwachen verbündet.

P.S. Wie gut „Die Korrekturen“ wirklich sind, wird sich weisen, der Roman liegt schon zur Lektüre bereit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

code