Marc Aurel: Selbstbetrachtungen

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Offenbar war meine Erwartungshaltung zu groß, denn das berühmte Buch lies mich enttäuscht zurück. Wer Epiktet und Seneca gelesen hat, wird bei Marc Aurel kaum neuen Gedanken finden. Es handelt sich ausschließlich um Variationen bekannter stoischer Themen, die in vielen Wiederholungen präsentiert werden. Natürlich ist es historisch interessant, welchen philosophischen Zugang ein römischer Kaiser hat. Geistesgeschichtlich ist es ein wenig originelles epigonales Werk.

Der Stoizismus war zur Zeit Marc Aurels bei Intellektuellen (und jenen, die sich dafür hielten) weit verbreitet. Eine Weltanschauung, die propagierte, dass man nicht beeinflussbare „Variablen“ der Außenwelt ignorieren sollte, und ausschließlich durch geistige Zurückhaltung gegenüber der Welt glücklich werden sollte, entsprach durchaus der Komplexität der römischen Gesellschaft. Konnte ein Individuum doch de facto wie heute seine eigene Situation nur sehr bedingt beeinflussen (angesichts der gesellschaftlichen Realitäten).

Auf den ersten Blick mag die Betonung der Ratio im Stoizismus auch aus heutiger Perspektive anziehend wirken. Sieht man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass diese Schule eine Rationalität auf ontologischer Ebene postuliert wird. Das Universum sei nach rationalen (was im ethischen Kontext auch immer heisst: nach guten) Prinzipien organisiert, weshalb alles, was geschieht, gerechtfertigt ist. Oft kommen hier Götter bzw. göttliche Prinzipien ins Spiel. Daraus resultiert ein quasi-religiöser Fatalismus, der durchaus vergleichbar mit modernen Spielarten der Schicksalsgläubigkeit ist. Der erkenntnistheoretische Rationalismus ist bei den Stoikern die Folge aus dem ontologisch-religiösem Rationalismus. Beides Ebenen werden immer noch gerne verwechselt: Wer behauptet, dass die Welt mit rationalen Methoden erkennbar ist, impliziert damit nicht, dass die Welt insgesamt nach rationalen Prinzipien funktioniert. Vielleicht mit der Ausnahme, dass Naturgesetze universell gültig sind.

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