Seit vielen Jahrzehnten ist es eine gängige Auffassung in der Genetik, dass auf den Chromsomen überwiegend Überflüssiges zu finden ist: semantisch leerer Genmüll, ein evolutionärer Schrottplatz.
Nur etwa zwei Prozent der DNA wurde als relevant eingestuft. Ursache dafür war in erster Linie, dass man nur die Proteinsynthese für wichtig hielt. Diese Lehrmeinung gerät zunehmend ins Wanken, wie in zwei höchst aufschlussreichen Spektrum-der-Wissenschaft-Artikeln nachzulesen ist (Februar und März 2004). Inzwischen hat man nämlich erkannt, dass auch Gene, die „nur“ RNA ausprägen von kaum zu überschätzender Wichtigkeit für das Erbgut und den Vererbungsprozess sind. Doch damit nicht genug: Sogar Informationen außerhalb der DNA Sequenz, sogenannte epigenetische Informationen, spielen eine wichtige Rolle.
Die im Jahr 2003 gefeierte komplette Entschlüsselung des menschlichen Genoms war also sehr voreilig. Die entzifferten 2% dürften nur einen kleinen Teil des semantischen Gehalts ausmachen. Sollte sich das bestätigen, ist das der größte Paradigmenwechsel in der Vererbungslehre seit einem halben Jahrhundert. Eine spannende Sache, diese Wissenschaft.