Nagib Machfus: Zwischen den Palästen. Roman

Gesamtausgabe Kairoer Trilogie (Unionsverlag 2004; Amazon Partnerlink)

Längerer Zeit schon stand die „Kairo Trilogie“ in der ziegelartigen und handgelenksgefährdenden 2001-Ausgabe im Regal. Anstoß für den Lektürebeginn war nun die für Februar geplante Ägyptenreise. Ist man es gewöhnt, Literatur vor allem ästhetisch motiviert zu lesen, wird einem angesichts eines so wirklichkeitsprallen Romans wieder bewusst, dass der Kunstaspekt der Literatur (so wichtig er ist) nur ein Aspekt der Romankunst ist. Der zweite läßt sich wohl am besten als humaner „Wissensspeicher“ beschreiben: Lebensentwürfe, Weltanschauungen, Räume aller Art werden durch Literatur in einer einzigartigen Weise festgehalten.

Nachdem mein Wissen über den orientalischen Alltag naturgemäß beschränkt ist, trat bei der Lektüre von „Zwischen den Palästen“ dieser semantische Aspekt stark in den Vordergrund. Der Leser erfährt eine Menge über das Leben in Ägypten zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Im Mittelpunkt steht eine wohlhabende Händlerfamilie in Kairo. Der Vater ist ein Familientyrann reinster Prägung und versetzt Gattin und Kinder regelmäßig und absichtlich in Furcht und Schrecken. Die Rolle der Frau beschränkt sich auf demütige Unterordnung. Kurz: Machfus zeichnet ein ausgesprochen düsteres Bild. Rechtfertigung des Vaters ist – wie könnte es anders sein – die Religion. Dass der Vater – allen der Familie gepredigten Grundsätzen entgegen – ein Doppelleben (Weib, Wein, Gesang) führt, macht ihn als Figur noch unsympathischer.

Es gibt hier interessante interkulturelle Zusammenhänge zur deutschsprachigen Literatur. So erinnert das abstoßende Patriarchat des ägyptischen Familienoberhaupts an entsprechende Figuren der kritischen Heimatliteratur: Innerhofers „Schöne Tage“ beispielsweise. Das Unterdrückungspotenzial des Katholizismus ist selbstverständlich nicht geringer als das des Islam.

Machfus Werk steht in bester europäischer Tradition des Familienromans. Der Autor hat seine ausgesprochen lebendigen Figuren ebenso im Griff wie die diversen Handlungssträge. Die ägyptische Politik (Unabhängigkeitsbewegung) spielt etwas zu plötzlich nach der Mitte des Romans eine entscheidende Rolle im Familienleben, wird dann aber schnell „organisch“ mit der Handlung verwoben.

Soweit man das nach einem Buch sagen kann: Machfus scheint den Nobelpreis, im Gegensatz zu manchem anderen, durchaus verdient zu haben.

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