Donald M. Frame: Montaigne. A Biography
(Hamish Hamilton)
Seit März beschäftigt mich nun Montaigne. Den vorläufigen Abschluss dieses Lektüreschwerpunkts markiert die vorzügliche Biographie des Donald M. Frame. Erschienen in den sechziger Jahren und als Standardwerk von der Encyclopeadia Britannica empfohlen.
Das Buch ist im besten Sinne „gelehrt“. Ausgehend von der Quellenlage rekonstruiert Frame das Leben des Montaigne. Die teils spärlichen Quellen werden solide abgeklopft und so manche biographische Spekulation als Wunschdenken aufgedeckt. Die Biographie beginnt mit der Rekonstruktion des Stammbaums. Die Familie mütterlicherseits war eine angesehene konvertierte jüdische Familie, die ursprünglich aus Spanien stammte. Kennt man das brutale Schicksal der spanischen Juden, so erhalten Montaignes Plädoyers gegen Folter und für Toleranz eine zusätzliche historische Basis.
Montaignes Vater war ein ungewöhnlich feinfühliger und verständnisvoller Mensch, was Frame folgendermaßen kommentiert:
Among the fathers of great man there are so many caricatures, the self-rightous tyrant, the hypersensitive intellectual, the disorderly drunkard, that it is a rare pleasure tom come accross one sound and able, kind and firm, one who truly deserved his son. Such a one was Pierre de Montaigne. [S. 15]
Die ersten Kapitel beschäftigen sich chronologisch mit Familie, Kindheit und den ersten politischen Erfahrungen des jungen Montaigne im Parlamentsrat von Bordeaux. Ausführlich wird seine prägende Freundschaft mit La Boetie beschrieben. Das erste große intellektuelle Unterfangen war die Übersetzung der „Theologia Naturalis“ des Raymond Sebond. Bei der Lektüre der „Essais“ hatte ich ein kleineres theologisches Traktat vor Augen. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine knapp tausendseitige Abhandung und damit eine herausragende Übersetzungsleistung.
Frame handelt die „Essais“ in mehreren eingeschobenen Kapitel ab und zwar mit einer bemerkenswerten Brillanz. Besonders anregend ist seine Rekonstruktion der intellektuellen Entwicklung Montaignes von den ersten frühen und kurzen Kapiteln bis hin zu den langen Texten der Selbstvergewisserung am Ende seines zurecht berühmten Buches. Dabei bleibt der Biograph nahe beim Text und verliert sich an keiner Stelle in hermeneutischen Spekulationen.
Philologisch interessant sind seine Ausführungen zur Überarbeitung aller Essais kurz vor Montaignes Tod. Einiges wird verschärft und zugespitzt, anderes wird bewusst nicht angetastet, obwohl von Montaigne als veraltet empfunden. Bei einer Lektüre der „Essais“ sollte man sich jedenfalls immer vor Augen halten, dass der späte Montaigne den frühen gelegentlich redigierte.
Frame schildert die Reisen und die Montaignes Zeit als Bürgermeister. Obwohl unmittelbare Zeitgeschichte nicht zu kurz kommt, wünscht man sich bei der Lektüre ab und zu einen größeren Blick auf das Geschehen. Die französische Geschichte des 16. Jahrhunderts sollte man deshalb einigermaßen präsent haben.