Wir kennen sie nur aus panischen Medienberichten, diese Afrikaner, die ihr Leben aufs Spiel setzen und die in kleinen Booten versuchen, die mit allen technischen Finessen geschützte Südgrenze der EU zu überwinden. Die Einzelschicksale verstecken sich hinter abstrakten Zahlen. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass Klaus Brinkbäumer, Afrika Korrespondent des „Spiegel“, in seinem neuen Buch diese Flüchtlingstragödie mit einem Gesicht versieht: John Ekow Ampan. Er war einer der Glücklichen, die es nach Europa geschafft haben. Brinkbäumer konnte ihn überzeugen, seine westafrikanische Fluchtroute mit ihm noch einmal zu bereisen: Ghana, Togo, Benin, Nigeria, Niger, Algerien, Marokko. Tausende Flüchtlinge sind hier oft Jahre unterwegs, zu teuer und zu mühsam ist die Reise durch den Kontinent.
Brinkbäumer gelingt es, die ungeheuren psychischen und physischen Strapazen anschaulich zu machen, welche diese Menschen für die geringe Chance auf sich nehmen, nach Europa zu kommen. Viele Beteiligte (Flüchtlinge, Schlepper, Familien) kommen zu Wort. Ein weiteres Verdienst des Buches ist es, die katastrophalen Zustände speziell in vielen afrikanischen Städten zu schildern. Wäre Dante unser Zeitgenosse, er könnte seine Höllenkreise diesmal auf der Oberfläche unseres Planeten ansiedeln. Über Lagos:
Es ist eine erbärmliche Stadt. 15 Millionen Menschen und nichts als Dreck und Müll und Schlamm. Wege durchs Abwasser sind Bretter, die hineingeworfen wurden, damit mal halbwegs trocken rüberkommt – diese Bretter heißen Hauptstraßen
[…]
Lagos ist Stau: eine einzige Masse von Autos, und zwischen den Autos zwängen sich Blinde, Krüppel, zehn.- zwölfjährige Jungs hindurch, auf den Köpfen Eimer mit Getränken. Sie flehen die Fahrer an, manchmal reichen sie die Getränke nach innen, aber dann schließt sich die Scheibe, es gibt kein Geld; sie können nichts dagegen tun, denn würde sie einem Reichen das Auto zerkratzen, hätten sie es künftig nicht leicht in den Straßen der Stadt. Es reicht ja, wenn hier einer ruft: „Ein Dieb, der da ist ein Dieb“, dann kommt der Mob und einer findet immer einen Autoreifen, und einer findet immer Benzin, und dann zünden sie den Dieb an, den angeblichen, und ermorden ihn, und dann gehen sie weiter. Solche Szenen sind viel zu normal in Lagos.
[S. 79f]
Wer wollte hier nicht weg?
Brinkbäumer zeichnet ein düsteres Bild des Kontintents. Die Reportage ist immer wieder unterbrochen durch historische und analytische Passagen, die nach meinem Geschmack durchaus ausführlicher hätten sein dürfen. So beschreibt er etwa, dass viele Weiße Westafrika verlassen ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass nun viele Chinesen an deren Stelle treten. Ein sehr lesenswertes Buch.
Klaus Brinkbäumer: Der Traum vom Leben. Eine afrikanische Odyssee (S. Fischer)