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Es ist kein Geheimnis, dass Thomas Mann zu meinen bevorzugten deutschen Autoren gehört. Seine großen Romane las ich alle mehrfach und werde sie immer wieder lesen. Er brachte die Form des psychologisch-realistischen Romans zu ihrem Höhepunkt, ganz ähnlich wie das Mahler mit der Symphonie gelang. Mehr ging nicht, ohne die Form zu zerbrechen und atonal zu werden.
Kurzkes Biographie hebt sich deutlich vom derzeit vorherrschenden Prinzip (vor allem im angelsächsischen Raum) ab, die prominenten Gegenstände dieser Bücher in irgendeiner Form zu entlarven. Kurzke könnte nicht weiter von diesen Entrüstungsbiographen entfernt sein. Man merkt von Anfang an, dass er Thomas Mann gewogen ist. Nicht unkritisch, aber doch in allen Streitfragen für Thomas Mann argumentierend (etwa, ob er ein Antisemit gewesen sei). Kurzke liest genau und versucht unter die Oberfläche dieser Konflikte einzudringen. Er analysiert diese Fragestellungen aus der Zeit des Entstehens heraus. Eine freundlichere Biographie wird Thomas Mann so schnell nicht wieder bekommen.
Es wäre nun falsch, aus dieser affirmativen Perspektive einen Vorwurf zu konstruieren. Denn Kurzke verschweigt keine der bekannten politischen oder familiären Eskapaden seines Schützlings. Man bekommt also durchaus ein rundes Bild. Die nicht unplausible Hauptthese des Buches lautet, dass sich hinter Manns spießbürgerliche Fassade ein antibürgerlicher Künstler versteckt, der dieses psychologische Nicht-Hineinpassen brillant in seinen Werken auslebt. Wer diese für Mann notwendige Spannung, wie viele seiner Zeitgenossen, nicht verstand, konnte ihn und seine Arbeiten nur falsch beurteilen.
Als Methode wählt der Biograph einen Mischansatz aus Chronologie und thematischen Kapiteln. Letztere dominieren, denn äußere Ereignisse werden zu Beginn jedes Abschnitts immer nur kurz zusammengefasst, um sich dann ausführlich mit „Juden“, „Krieg“ oder „Republikanischer Politik“ zu beschäftigen. Wie die meisten Lebensbeschreiber, sucht Kurzke Manns Werke nach biographischen Lesarten ab. Für meinen Geschmack geht er dabei an die Grenze des hermeneutisch zulässigen und überschreitet sie auch in einigen Fällen. Anders als Corino in seiner Musil-Biographie ist er sich aber dieser Problematik bewusst und thematisiert sie auch regelmäßig.
Ich habe diese Biographie jedenfalls sehr gerne gelesen, und kann allen Freunden des Autors nur zur Lektüre raten. Eine Kombination mit einem neutraleren Werk (etwa von Donald Prater) wäre aber ratsam.