Nachdem ich gerade Lust auf aktuelle Belletristik hatte, begann ich Philip Roth‘ neues Buch gleich nach dem Eintreffen zu lesen. Es trägt keine Gattungsbezeichnung, „Roman“ wäre aber auch zu viel gesagt. Es handelt sich um eine Erzählung, die durch großen Satz auf 230 Seiten gestreckt ist.
Einmal mehr geht der Protagonist aus Newark hervor, und einmal mehr ist es ein junger Jude. Marcus Messner, 18 Jahre alt, Sohn eines koscheren Metzgers und ein Musterknabe, was altersgemäße Freizeitbeschäftigungen angeht. Einser-Schüler und Student (auch wenn er in den Staaten natürlich As nach Hause bringt). Die Handlung setzt im Sommer 1950 ein und hat damit den Koreakrieg als wichtigen Hintergrund.
Kurz nach seinem Eintritt ins College in Newark wird sein Vater immer irrationaler und seltsamer. Er fürchtet ständig um das Leben seines Sohnes, beginnt ihm nachzuspionieren, ohne Grund und Anlass. Marcus hält das nicht lange aus und flüchtet in das Winesburg College nach Ohio. Dort kommt die andere Seite des jungen Mannes zum Vorschein, die des unangepassten, erwachenden Intellektuellen, der Russell liest, an den Zwangsgottesdiensten leidet und sich mit seinem Dean heftige Wortgefechte zum Thema liefert. Erste sexuelle Erfahrungen mit einem mysteriösen Mädchen kommen ebenso dazu wie seine Schwierigkeiten mit anderen Studenten, um seinen Einstieg ins Collegeleben nicht einfach zu machen. Am Ende verwandelt eine Schneeballschlacht ein paar hundert Jungen in einen wilden Mob.
Seine Renitenz bringt ihn nach Korea an die Front (Collegestudenten wurden nicht eingezogen), wo ein vielversprechendes junges Leben dank eines chinesischen Bajonetts sein Ende findet.
Man braucht nun kein Meisterhermeneut sein, um hier Bezüge zum Irakkrieg zu sehen, wo ebenfalls viele junge Amerikaner ums Leben kommen. Der Kontext des religiösen Dogmatismus und das fehlende Verständnis für liberale Werte verstärken diesen Eindruck noch. Roth geht nicht sehr explizit auf den Horror des Krieges ein. Dafür schildert er in einer quälenden Ausführlichkeit das blutrünstige des Schlachterhandwerks an den Marcus von klein auf teilnehmen „darf“.
Das ist schriftstellerisch so gut gemacht, wie man es von Philip Roth erwarten darf. Die Erzählung ist routiniert auf hohem Niveau geschrieben. Wenn man denn will, könnte man einwenden, dass die Ich-Perspektive nicht immer überzeugend durchgehalten wird. Marcus erzählt uns seine Geschichte, und ab und zu schreibt er so blasiert über sich als käme hier doch ein auktorialer Erzähler ins Spiel: „I, with the mind of an eighteen-year-old-boy…“ etc.
Die paar Stunden Lesezeit für „Indignation“ sind jedenfalls sehr gut investiert.
Philip Roth: Indignation. (Jonathan Cape)