Moderne? Modernismus? Postmoderne?

Peter V. Zima bringt Licht ins Dunkel der aktuellen Theorienlandschaft [1998]

Für viele Literaturinteressierte ist der Begriff „Postmoderne“ längst ein Reizwort, das durch inflationären Gebrauch beinahe bedeutungsleer geworden ist. Aber nur wenige Theoretiker scheinen sich dadurch gestört zu fühlen: In philosophischen, soziologischen und literaturtheoretischen Debatten spielt das Postmoderne-Konzept mangels Alternativen nach wie vor eine wichtige Rolle. Kluge Veröffentlichungen zum Thema erleichtern diese theoretische Zwangsgemeinschaft, eine davon soll im folgenden vorgestellt werden.

Peter V. Zima, Vorstand des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Klagenfurt, publiziert in beeindruckender Regelmäßigkeit Studien, die als Standardwerke bezeichnet werden müssen. Nach Literarischer Ästhetik (1991) und Die Dekonstruktion (1994) ist nun Moderne/Postmoderne erschienen. Der Hauptvorzug liegt bei allen drei Bänden in der Kombination einer sehr differenzierten Analyse mit einer klaren Darstellungsweise. Angesichts der unnötigen Dunkelheit vieler literaturtheoretischer Publikationen, kann der hohe Grad an Lesbarkeit gar nicht genug hervorgehoben werden. Gilt doch in manchen Theoretiker-Zirkeln eine große Zahl an dunklen Metaphern bereits als Qualitätsnachweis, als ob stilistische Extravaganzen analytische Schärfe ersetzen könnten.

Die monographische Behandlung eines so komplexen Themas wie „Moderne/Postmoderne“ ist ein gewagtes Unterfangen, denn es gilt eine Vielfalt von Problemfeldern zu berücksichtigen. Den wichtigsten von ihnen sind denn auch fünf Kapitel der Studie gewidmet, im sechsten skizziert Zima eine eigene Theorie. Am Beginn steht zu Recht die Frage nach der Bestimmung der relevanten Begriffe, werden doch „Moderne“, „Modernismus“ und „Postmoderne“ von verschiedenen Disziplinen unterschiedlich verwendet. Während in der Soziologie „Moderne“ sehr oft synonym für „Neuzeit“ gebraucht wird, bezeichnet er auf literarischem Gebiet eine ästhetische Konzeption, die (trotz Vorläufern im vorigen Jahrhundert) erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Blüte stand. Deshalb schlägt Zima für den literarischen Bereich den Begriff „Modernismus“ vor, um Verwechslungen auszuschließen.

Umsichtig nimmt der Klagenfurter Literaturwissenschaftler mögliche Kritik vorweg, indem er seine Darstellung explizit als modifizierbare Konstruktionen begreift. Als Ausgangspunkt seiner Analyse dient ihm die These, daß Moderne, Modernismus und Postmoderne mit formalen und ästhetischen Kategorien allein nicht zu erfassen sind, dazu müsse auch der sprachliche, gesellschaftliche und soziologische Kontext berücksichtigt werden. Die Richtigkeit dieser Hypothese bestätigt sich im Verlauf der Untersuchung: Alle einschlägigen Publikationen, die ausschließlich mit formal-ästhetischen Kriterien arbeiten, beziehen sich jeweils nur auf einen Ausschnitt der literarischen Moderne und ignorieren Autoren, die sich nicht in die jeweilige Theorie einpassen lassen. Wie sollte man auch die Werke von Thomas Mann, Kafka, Joyce und Gide und anderen auf einen ästhetischen Nenner bringen? Bezöge man noch die diversen Avantgarden wie Futurismus und Dadaismus mit ein, wäre das Unterfangen gänzlich aussichtslos.

Angesichts dieser Problemlage widmet sich Zima zuerst soziologischen und philosophischen Fragestellungen. Die Antworten der Soziologen fallen erwartungsgemäß höchst unterschiedlich aus. Neben anderen werden einschlägige Publikationen von Ulrich Beck, Zygmunt Bauman, Alain Touraine und Anthony Giddens ebenso besprochen wie Bücher ökofeministischer, marxistischer und konservativer Provenienz. Dabei gelingt Zima stets eine sachliche Rekonstruktion der Theorien, ohne daß er deshalb auf kritische Argumente verzichten müßte.

Diese bewährte Darstellungsweise wendet der Literaturwissenschafter dann auch im Kapitel über postmoderne Philosophien an: Die Ansichten Foucaults, Deleuzes, Vattimos, Rortys und – selbstverständlich – Derridas werden prägnant analysiert. Habermas‘ Kommunikationstheorie wird als universalistische Kontrastfolie für Lyotards extremen Partikularismus verwendet.

Nachdem der theoretische Kontext nun detailliert beschrieben wurde, wendet sich Zima der literaturwissenschaftlichen Debatte zu. Er schlägt folgendes literaturgeschichtliche Modell vor: Während in der realistischen Literatur des 19. Jahrhunderts Ambiguitäten zwischen Schein und Sein, Gut und Böse usw. noch aufgelöst werden konnten, wandeln sie sich im Modernismus zu Ambivalenzen, die unaufgelöst nebeneinander bestehen bleiben. In der Postmoderne wird die Ambivalenz durch die Indifferenz abgelöst: Werte werden beliebig austauschbar. Zima macht diese Sichtweise überwiegend an Beispielen österreichischer Literatur plausibel, etwa indem er Musils Drama „Die Schwärmer“ Werner Schwabs „Mesalliance“ gegenüberstellt. Ein Ergebnis sind zwei nützliche Kataloge, welche typische Stilbegriffe und damit verbundene philosophische Probleme für den Modernismus und die Postmoderne zusammenfassen und die auch literaturtheoretischen Laien einen schnellen Überblick erlauben.

Welchen Standpunkt nimmt nun Zima selbst in den heftig tobenden theoretischen Grundsatzdebatten ein? Er macht kein Geheimnis daraus, daß er in der Tradition der Frankfurter Schule steht. Diese teilweise unkritische Übernahme der Kritischen Theorie fordert zur Kritik heraus, etwa wenn er sich an mehreren Stellen auf Adornos und Horkheimers Theorie der Aufklärung beruft, ohne den fragwürdigen Aufklärungsbegriff der beiden zu thematisieren. Trotzdem wäre es unfair, Zima eine ideologische Haltung zu unterstellen, ist doch die Vermeidung ideologischer Fallstricke eines seiner Hauptanliegen. So fordert er im letzten Kapitel seines Buches eine dialogische Auseinandersetzung der unterschiedlichen theoretischen Lager, die jeweils monologisch ihre Positionen wiederholten: „Das Gehäuse des Monologs kann noch am ehesten durch interdiskursiven Dialog, durch interdiskursive Kritik aufgebrochen werden: d.h. durch eine Auseinandersetzung zwischen ideologische und theoretisch heterogenen Soziolekten und ihren Diskursen.“ (S. 384)

Die Sympathie, die man diesem Vorschlag spontan entgegenbringt, darf aber über dessen Schwächen nicht hinwegtäuschen. Diese Gleichberechtigung der Diskurse setzt nämlich einen radikalen Konstruktivismus voraus: jeder Diskurs konstruiere eine jeweils eigenständige Wirklichkeit und sei deshalb gleichberechtigt mit allen anderen. Bezieht man sich dabei nur auf kognitive Prozesse, ist diese Feststellung banal. Zima scheint jedoch einen ontologischen Konstruktivismus zu befürworten, denn ohne diesen machte seine These von der Gleichberechtigung der Diskurse wenig Sinn. Das aber ist eine so starke und fragwürdige theoretische Grundannahme, daß es wenig aussichtsreich erscheint, daß sie von den Vertretern der unterschiedlichen Positionen als gemeinsame Basis akzeptiert werden könnte.

Doch auch wenn man Zimas anregende Lösungsvorschläge nicht ohne weiteres teilen mag: Sein Buch über „Moderne/Postmoderne“ gehört zu den besten, die im deutschsprachigen Raum zu diesem Thema erschienen sind.

Peter V. Zima: Moderne/Postmoderne.. Gesellschaft, Philosophie, Literatur. Tübingen/Basel: A. Francke 1997 (=UTB 1967)

[© Christian Köllerer]

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