Die Fahrt nach Samarkand führt durch sehr ärmliche Gegenden des Landes. Dem Land Bodenfrüchte abzugewinnen ist offensichtlich harte Arbeit. Von den bekannten Strapazen der Baumwollernte einmal ganz abgesehen, zu der auch Schulkinder in den Sommermonaten immer noch gezwungen werden. Den korrupten Machthabern sind Devisen naturgemäß wichtiger als die Ausbildung ihres Nachwuchses. Trotz der Armut sind in allen Ländern Zentralasiens Handys weitverbreitet. Selbst Hirtenjungen scheinen auf ihre Schafe ohne Mobiltelefon nicht mehr aufpassen zu können. Und sogar in Gegenden mit Dörfern ohne Strom oder fließendem Wasser gibt es exzellenten Mobilfunkempfang.
Unterwegs bietet sich ein Abstecher nach Schahr-e Sabs an, der Geburtsstadt Timurs (1336-1405), der diese Weltgegend nicht nur bis heute durch zahlreiche Bauten geprägt hat, sondern vom neuen Usbekistan auch als eine Art Nationalheiliger inthronisiert wurde. Man die Überreste des Palastes Ak Sarai besichtigen, dessen zwei Pylonen noch stehen und beachtliche 38m hoch sind. Dadurch lässt sich die Dimension dieses riesigen Bauwerks gut erkennen. Timur ließ die besten Architekten und Künstler aus seinem neuen Reich buchstäblich zusammenfangen und die Ergebnisse sind immer noch beeindruckend.
Nun also Samarkand, dessen orientalischer Zauber einer der wenigen Anhaltspunkte ist, die ein Mitteleuropäer heute mit Zentralasien üblicherweise assoziert. Seidenstraße! Orient! Tausendundeine Nacht! Exotik! – Es mag an dem trüben Wetter gelegen haben als wir dort ankamen: Anfangs waren nicht einmal Spuren dieses Klischees erkennbar. So originell ein Wiener Novembertag in dieser Oasenstadt sein mag, dem Flair Samarkands ist eine graue Regenatmosphäre nicht zuträglich. Auch als das Wetter schließlich besser wurde, wollten die eigenen Eindrücke so gar nicht zu den romantischen Erwartungen passen. Natürlich gibt es in der Stadt zauberhafte Ecken. Der berühmte Rigestan Platz wird seinem Ruf ebenso gerecht wie die gepriesene Gräberstadt Schah-e Sende, deren „Erlebniswert“ mit altägyptischen Baudenkmälern durchaus vergleichbar ist. Diese Stätten sind aber in der Stadt weit verteilt, und ein paar Blocks weiter steht man in tristen Vierteln voller heruntergekommener sowjetischer Plattenbauten. So tritt einem Samarkand als eine seltsame Mischung aus Chiwa und Skopje entgegen.
Wer nach Zentralasien aufbricht, sei also vorgewarnt. Es gibt die orientalische Seite dieser Länder und sie ist sehenswert. Zu mindestens gleichen Teilen ist es aber eine Reise durch die Ex-Sowjetunion samt der einschlägigen deprimierenden städtebaulichen Folgeerscheinungen. Natürlich gibt es Positives aus dieser Zeit. Dass es in allen fünf Ländern kaum Analphabetismus gibt (im Unterschied etwa zu Afghanistan), ist dem sowjetischen Erziehungswesen zu verdanken. Auch die Gesundheitsversorgung profitiert noch aus den alten Zeiten, auch wenn sich diese Strukturen bereits auflösen.