Martin Amanshauser

Die ersten beiden Romane Martin Amanshausers [1998]

Zwei Bücher innerhalb eines Jahres vorzulegen ist für einen jungen Autor eine beachtliche Leistung, vor allem wenn es sich um die ersten beiden Titel, also den eigentlichen Beginn einer literarischen Laufbahn handelt. Der Erstling Martin Amanshausers, Im Magen der Hyäne, ist auch kein normales Debut, sondern ein origineller „Wiener Stadtkrimi“, makaber und grotesk in bester Wiener Tradition. Ratlos hingegen läßt einen sein zweiter – besser wohl: erster – Roman Erdnußbutter zurück.

In seinem ersten Buch nimmt Amanshauser den Leser und die Leserin fürsorglich bei der Hand und führt sie in die dunklen Abgründe der Stadt, dorthin wo Eingeweide in Plastiksackerln transportiert werden, und das skrupellose Billasyndikat vergammelte Embryonen in Fleischkrapferl verarbeitet. In eine Welt, in der ein intelligentes Ozonöferl und die Rasenmäher Christi, eine katholische Sekte, ihr Unwesen treiben und Semmelschmierapparate gesucht werden.

Doch langsam und der Reihe nach. Auslöser der mörderischen Geschichte ist ein in der U-Bahn – absichtlich? – liegengelassenes Krimiheft mit dem ominösen Titel „Der Panegyriker – Ein blutiger Krimi aus Wien in 23 Bezirken“. Darin findet der Ich-Erzähler Martin A. einen Zettel mit der Aufforderung, die 23 Kapitel einzeln im Abstand von einer Woche zu lesen und sich an die jeweiligen Schauplätze des Krimis zu begeben. Damit ist man auch schon mit der Struktur von Amanshausers Roman vertraut, denn natürlich gliedert er sich ebenfalls in 23 Abschnitte, die den Wiener Bezirken entsprechen. Unser Held bricht also auf, um den Panegyriker zu suchen, einen Wiener Miniatur-Mabuse, dessen blutige Spuren sich durch Wien ziehen. Von Bezirk zu Bezirk folgt Martin A. nun diesem Dämon und gerät von einem makaberen Abenteuer ins nächste, nicht ohne den Lesenden en passant ausführlich mit seiner Einstellung zum Leben im allgemeinen und zu Schinkensemmerln im besonderen bekannt zu machen.

Amanshauser schwelgt in düster-grotesken Bildern, etwa wenn sein Romanheld das Kellerabteil seiner Wohnung betritt: „Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit … da liegen Rattenkadaver in allen Größen, in deren Eingeweiden silbrig glänzende Fledermäuse hocken, die mit schmatzenden Schnabelgeräuschen brettljausnen. Wenn Hieronymus Bosch eine Ratte gewesen wäre, er hätte hier gute Motive gefunden.“ Auch Amanshauser findet viele originelle Motive, und treibt seinen Roman von einem spektakulären Höhepunkt zum nächsten, indem er virtuos mit Kolportageelementen spielt. Aber er beläßt es nicht dabei, sondern veranstaltet einen wahren Wirbel mit trivialen Versatzstücken, ohne selbst jedoch ins Triviale abzugleiten. Denn durch den ironischen Grundton und den überbordenden schwarzen Humor werden diese Elemente ausreichend stark verfremdet. Nimmt man noch die Passagen hinzu, die unmerklich ins Surreale und Phantastische hinübergleiten, hat man die wichtigsten Erzählstrategien erfaßt. Fast wäre ich versucht, dem Roman das Etikett „postmodern“ anzuhängen, wenn dieses Modewörtchen nicht durch inflationären Gebrauch schon beinahe bedeutungslos geworden wäre. Passend illustriert ist der Band von Dr. Schaupe, ein Pseudonym, hinter dem sich laut Klappentext ein Wiener Grafiker verbirgt.

Amanshauser hat also einen handwerklich sehr soliden Krimi vorgelegt, der wegen seines abgründigen Humors keineswegs eine so düstere Stimmung hervorruft, wie das die erwähnten Motive vielleicht erwarten lassen. Das Buch liest sich im Gegenteil sehr unterhaltend und stellt auch gar nicht den Anspruch, sich mit den Werken anderer literarischer Erforscher seelischer Abgründe, wie Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek, vergleichen zu wollen.

Wendet man sich nun nach diesem durchaus originellen Wurf seinem in diesem Herbst erschienen Roman Erdnußbutter zu, ist die Enttäuschung groß. Erwarten konnte man ein einfallsreiches und schlüssiges ästhetisches Konzept, denn in Amanshausers „Wiener Stadtkrimi“ funktionieren die gewählten Erzählstrategien ja ausgezeichnet. Für sein zweites Buch hat er nun jedoch zu einer Art des vorsichtigen Recyclings dieser erzählerischen Mittel gegriffen, anstatt ein neues literarisches Konzept zu suchen, das immanent ebenso schlüssig wäre, wie das für seinen Wiener Stadtkrimi.

Es handelt sich auch diesmal um eine Kriminalgeschichte. Erzählt wird sie aus der Perspektive eines „abgesandelten“ Wiener Studenten, der nach ein paar Tagen Obdachlosigkeit von Belenski und dessen amerikanischen Freund „Oklahoma“, zwei zwielichtigen Typen, mietfrei in einer schäbigen WG untergebracht wird. Philanthropische Motive hinter dieser Tat zu erwarten, wäre selbstverständlich naiv, und schon bald wird der neue Mitbewohner von Lydia, deren Beziehung zum Drahtzieher Belenski ihm anfänglich unbekannt ist, zu kleineren dubiosen Aufträgen herangezogen. Sie nimmt ihn zu einer größeren Aktion mit nach Salzburg, geheime Skizzen sollen übergeben werden. Aus einer eifersüchtigen Laune heraus vertauscht er die Dokumente mit einem alten Profil-Heft und löst damit eine Kettenreaktion aus, die mehrere Morde nach sich zieht. Der zweite Handlungsstrang beginnt in Salzburg und schildert die Erlebnisse Ninettes, die dort nach ihrem geisteswissenschaftlichen Studium als Guide arbeitet, und es beruflich mit verdächtigen Asiaten zu tun bekommt, von denen sich einige gegen Ende, nachdem sich die beiden Handlungsstränge vorhersehbar vereinigt haben, als Mafiosi entpuppen.

Nachzutragen bleibt noch, daß der Roman formal am Handlungsende (Kapitel Null) beginnt, mit unserem Studenten und Ninette in einer toskanischen Villa und zwei Leichen in der Tiefkühltruhe. Die Geschichte führt dann langsam auf dieses Finale zu.

Es wäre wenig sinnvoll, eine ausführlichere Inhaltsangabe zu liefern, denn die oben skizzierte Handlung ist selbstverständlich nur der Kern, um den sich eine Reihe von mehr oder weniger abseitigen Geschichten und Figuren ranken. Letztere zeichnen sich durch eine bestechende Eindimensionalität aus, vom Alt-Hippie über Vertreter der „Schönes-Wochenende-Gesellschaft“ bis hin zum Salzburger Schnürlregen wird kaum ein Klischee ausgelassen („Der alte Hecht war ein übler Nazi, die Mutter lieb und dumm.“). Immanent hat das durchaus eine gewisse erzählerische Konsequenz, wird das Geschehen doch ausschließlich aus der Perspektive eines jungen Studenten berichtet, der sich selbst ständig über seine Gedankenarmut beklagt, die sich dann – trotz der offensichtlichen Koketterie dieses Topos – tatsächlich in den Schilderungen des Romans niederschlägt. Deshalb ist auch das Personenregister am Ende des Romans sinnlos, man wird über „Armstrong, Luis“ ebensowenig etwas Bemerkenswertes aus dem Buch erfahren, wie über „Warhol, Andy“. Das ist zweifellos ironisch gemeint, kann aber trotzdem nicht überzeugen. Im direkten Zusammenhang mit der Erzählperspektive steht auch die Sprache, ein schnoddriger und flapsiger Erzählton, der für kurze Zeit originell wirkt, aber nicht einmal ansatzweise in der Lage ist, einem fast 350 Seiten langen Roman ein solides sprachliches Fundament zu geben. Einmal gewählt muß dieser Ton von Amanshauser auf Gedeih und Verderb bis zum Ende durchgehalten werden, was die Charakterisierungsmöglichkeiten der übrigen Figuren stark einschränkt. Ninette beispielsweise wird ebenfalls in diesem Stil beschrieben, sogar dann, wenn ihre Gedanken und Gefühle aus der Innenperspektive geschildert werden. Sie „denkt“ also trotz des völlig verschiedenen Bildungshintergrundes im selben Ton wie der Ich-Erzähler. Das wirkt auf den Leser einerseits unglaubwürdig, und ist andererseits eine Hauptursache der erwähnten eindimensionalen Charakterzeichnung. Diese setzt sich manchmal aber auch ins Inhaltliche fort. Daß eine studierte Fremdenführerin im Jahr 1998 schwarze Fahnen am Großen Festspielhaus mit dem Tode Karajans in Verbindung bringt, ist nur ein unstimmiges Detail, deren Summe dem Roman aber merklich schadet. Ihm wäre überhaupt ein aufmerksameres Lektorat zu wünschen gewesen: Daß etwa ein Kommentar über das Aufschreiben der Geschichte (Erzählzeit) versehentlich in die Zeitebene der Geschichte (erzählte Zeit) rutscht (S. 164) wäre ein leicht zu korrigierender Flüchtigkeitsfehler gewesen.

Bei der Lektüre hat man den Eindruck, daß sich Amanshauser – ganz anders als bei seinem Erstling – nicht entscheiden konnte, welches Buch er eigentlich schreiben wollte. Einen unterhaltsamen Krimi oder doch eher eine Krimiparodie? Während viele Motive auf parodistische Intentionen hindeuten, sprechen nicht nur gesellschaftskritische Exkurse wieder dagegen. Einen kritischen Gegenwartsroman, verpackt in eine originelle Geschichte? Dafür sprächen die zahlreichen politischen Anspielungen (sogar die Affäre Rosenstingl findet noch Erwähnung) und die Schilderung ausgewählter kultureller Milieus. In diesem Fall müßte sich Amanshauser aber an den Werken seiner Kollegen messen lassen, etwa dem mit großem Kunstverstand geschriebenen Debütroman Wie man‘s nimmt von Norbert Niemann, der in ganz anderen literarischen Regionen angesiedelt ist. Aber ein derartiger Vergleich soll ihm an dieser Stelle erspart bleiben.

Martin Amanshauser: Im Magen einer kranken Hyäne. Wiener Stadtkrimi. Wien/München: Deuticke Verlag 1997. 152 Seiten, broschiert. öS 198.-

Martin Amanshauser: Erdnußbutter. Roman. Wien/München: Deuticke Verlag 1998. 352 Seiten. öS 248.-

[Literatur und Kritik Nr. 329/330, November 1998; © Christian Köllerer]

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