14.11. 2009
Lorenzaccio stand gestern auf dem Programm (Theaterkritik folgt), ein Stück über Korruption und die Unfähigkeit der „Elite“ im Florenz des 16. Jahrhunderts. Das Publikum wurde in der Pause passenderweise mit der Unfähigkeit der eigenen politischen Eliten konfrontiert, deren Symptom die desaströse und im internationalen Vergleich hochnotpeinliche Bildungs“politik“ ist. Schätzungsweise 150 bis 200 Studentinnen und Studenten besetzen im Rahmen der Protestaktion Unsere Uni die Bühne des Burgtheaters um auf Ihre berechtigten Anliegen aufmerksam zu machen. Auch Lehrende waren involviert. Es folgte ein Theater der ganz eigenen Art.
Wie pragmatisch die Protestbewegung angelegt ist, zeigt sich an der Dramaturgie. Zwar waren bereits vor dem Beginn der Vorstellung viele Studierende vor der Burg, aber man wartete doch tatsächlich brav die Pause gegen 21:50 Uhr ab, bevor man zur Tat schritt. Ein Teil zerstreute sich im Zuschauerraum, die meisten versammelten sich auf der Bühne und standen damit aus inszenatorischen Gründen im Dreck (Theatererde). Das Publikum spaltete sich in zwei Teile. Die (meinem Eindruck nach) überwiegende Mehrheit solidarisierte sich mit dem Protest. Es gab Applaus und „Bravo“-Rufe. Eine laut plärrende Minderheit gab sich empört mit „Buuh“-, „Raus hier“-, „Es reicht“-Rufen und ließen damit durchblicken, dass sie nicht verstanden hatten, was sie vor der Pause gesehen hatten. Sie schrieen im Burgtheater ihre eigenen Enkel und Kinder nieder, die für mehr Bildung protestieren, und schienen das Groteske der Situation nicht einmal zu erkennen. Es mag daran gelegen haben, dass die Abonnenten des „Nach der Premiere“ – Zyklus im Zuschauerraum saßen, von denen viele wohl mehr aus repräsentativen denn als kulturellen Gründen die Burg heimsuchen.
Anekdotisch möge dies das Ehepaar hinter mir illustrieren, die mir bisher noch nie mit Aktionismus aufgefallen waren. Beide waren bei den aufgebrachten Zwischenrufern. Die Dame schrie wenig damenhaft abwechselnd „Es reicht“, „Es waren nur ein paar Minuten ausgemacht“ und „Leere Schlagwörter“. Auf den naheliegenden Gedanken kam sie nicht, dass sich Ihre Forderung nach einer 3-Minuten-Aktion mit der einer komplexen Erörterung der Materie widersprechen könnte…
Die Studierenden hatten ein großes Transparent mit einem Brechtzitat auf die Bühne gebracht: „Schwierigkeiten werden nicht dadurch überwunden, dass sie verschwiegen werden“. Der Vortrag der Forderungen hätte aber etwas origineller inszeniert sein können. Die Bühne des Burgtheaters verlangt nach anderen Kommunikationsformen als eine blockierte Straßenkreuzung.
Nach einer guten halben Stunde war alles vorbei. Martin Schwab nutzte die Bankett-Szene nach der Pause geschickt für eine kurze Solidaritätserklärung mit den Studenten.
Ich berichtete als erster mit Live-Tweets von der Aktion, die schnell die Runde machten (70 Retweets in in 2h). War eine interessante Erfahrung, einmal aktuelle Informationen zu liefern, die sehr stark nachgefragt waren.
Weitere Informationen:
Meine Fotos von der Aktion
Video von der Aktion
Bericht in der Spät-ZIB des ORF (am Ende)
Kommentare?
Danke!
Brillanter Artikel !
An diesem Ehepaar sieht man mal wieder, dass Kulturbegeisterung und Intelligenz sicher nicht korreliert.
Mir wird leider eh viel zu oft übel, wenn ich unsere möchtegern liberale Kulturgemeinde zuschauen muss. Das ist doch alles nur Theater.
Gleichzeitig kann man an dieser Aktion aber auch sehen, wie bürgerlich dieser ganze Protest doch eigentlich ist. In den 70ern hätte das Stück sicher nicht weitergeführt werden können.
Als an der Aktion Mitbeteiligte kann ich den „Vorwurf“ der Bürgerlichkeit nicht ganz verstehen. Das Image der Studierenden ist schon schlecht genug – hätten wir uns für eine tatsächliche Vorstellungsunterbrechung entschieden, wäre es noch schlimmer geworden. Wir wollen ja nicht nur randalieren, sondern erreichen, dass unsere Forderungen gehört und ernst genommen werden – daher erschien es uns vernünftiger, die Pause abzuwarten.
Und zu Rede: ernsthafte Forderungen und Inhalte erfordern ein ernsthaftes Format, oder nicht?
War nicht eigentlich als „Vorwurf“ gemeint, mehr als Beobachtung über die aktuelle Protestkultur im Vergleich zu den sechziger und siebziger Jahren. Finde diesen pragmatischen Ansatz prinzipiell gut.
Das freut mich 🙂 Verglichen mit den sechziger Jahren hat sich schon einiges verändert, aber jede Jugend hat ihre eigenen Methoden, mit den Problemen umzugehen. Danke für Ihre Unterstützung!