Joseph Roth / Stefan Zweig: Der Briefwechsel

Ein Exildrama in Briefen

Die Motive, warum wir Autoren-Briefwechsel lesen, sind höchst unterschiedlich. Sie reichen von einem voyeuristischen Interesse am Privatleben der Beteiligten bis hin zum Wunsch, einen detaillierten Einblick in deren Schreibwerkstatt und damit Ästhetik zu erhalten. Manche Korrespondenzen, wie die zwischen Goethe und Schiller, behaupten sich aufgrund des intellektuellen und menschlichen Gehalts als unverzichtbare eigenständige Werke.

Die meisten Briefe zwischen Roth und Zweig sind dank des 1970 von Hermann Kesten herausgegebenen Bandes bereits bekannt. Die von Madeleine Rietra und Rainer Joachim Siegel nun im Wallstein Verlag herausgegebene Neuedition wartet neben textlichen Ergänzungen mit einem sorgfältigen Kommentar auf.

Was am 8. September 1927 mit einer höflichen Danksagung Roths beginnt – Zweig hatte sich positiv über Juden auf Wanderschaft geäußert – endet einige Monate vor Roths Tod im Dezember 1938. Dazwischen wird der Leser Zeuge, wie sich Roth angesichts seiner kumulierenden Lebenskatastrophen immer mehr an Stefan Zweig festhält. Ist Roth zu Beginn noch sehr stolz und selbstbewusst in seinen Briefen, schreibt er einige Jahre später hemmungslose Bettelbriefe. Roth klammert sich an den Großschriftsteller Stefan Zweig wie ein Ertrinkender an einen Rettungsreifen.

Ästhetische Probleme werden zwischen Joseph Roth und Stefan Zweig nur selten besprochen, nämlich in einigen „Lektoratsbriefen“ Roths, in denen er mit Texten Zweigs überraschend scharf ins Gericht geht, was ihm dieser aber nicht übel nimmt. Roths Alkoholismus dagegen ist immer präsent. Explizit durch die zahlreichen Mahnungen Stefan Zweigs, Roth möge doch endlich mit dem Saufen aufhören, weil er damit sein Leben ruiniere. Die Reaktionen darauf sind vielfältig. Manchmal reagiert Roth mit blankem Unverständnis:

Warum sprechen Sie mir von Alkohol? Sie wissen, daß ich längst nur Wein trinke.
(13.4. 1934)

Später rechtfertigt er sich offensiv mit der üblen Lage, in der er steckt:

Machen Sie sich bitte um mein Trinken gar keine Sorgen. Es konserviert mich viel eher, als daß es mich ruiniert. Ich will damit sagen, daß der Alkohol zwar das Leben verkürzt, aber den unmittelbaren Tod verhindert.
(12.11. 1935)

Implizit begleitet Roths Alkoholismus die Lektüre, weil man quasi live verfolgen kann, wie sich Roths Psyche langsam zerrüttet und die Sucht sein Leben ruiniert. Einige Briefe sind offensichtlich im betrunkenen Zustand verfasst. Die Spannweite zwischen bestürzender analytischer Hellsicht und paranoidem Unfug mögen zwei Beispiele illustrieren. So schreibt er im Februar 1933 illusionslos an Stefan Zweig:

Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg (…) Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.

Der Empfänger dieser Zeilen sah die Lage lange keineswegs so realistisch wie Joseph Roth. Politisch war Roth der Hellsichtigere, trotz seiner monarchistischen Ansichten, zu denen er später aus Verzweiflung neigte.

Man stößt aber auch auf höchst seltsame Passagen wie jene im Juni 1934 geschriebene, wo Roth über den Film schreibt:

Er mag die Menschen selig machen, auch der Teufel macht sie zuweilen selig. Es ist meine unerschütterliche Überzeugung, daß sich quasi im lebendigen Schatten der Teufel offenbart. Der Schatten, der selbst agiert und sogar spricht, ist der wahre Satan. Mit dem Kino beginnt das 20. Jahrhundert, das ist: das Vorspiel zum Untergang der Welt.

Die Lektüre dieser Briefe gleicht damit einer faszinierenden intellektuellen Achterbahnfahrt.

Der ältere Zweig ist der souveränere Briefpartner. Er sieht klar die Ursachen von Roths Problemen und weist immer wieder auf sie hin, worauf Roth oft gereizt reagiert.

Leider ist die Überlieferung der Korrespondenz unvollständig. Vor allem zu Beginn fehlen viele Briefe Stefan Zweigs. Der Kommentar der Ausgabe versucht allerdings immer, so gut es geht, den notwendigen Kontext beizusteuern. Man kann ausführlich nachlesen, was Zweig an andere Briefpartner über Roth schreibt. Während Zweig in seiner Korrespondenz mit Roth zwar durchaus direkt sein kann, fehlt es ihm nie an Takt und Respekt. Ganz anders klingt das beispielsweise Ende Juli 1934, wenn er an Antonia Vallentin-Luchaire klagt:

Roth ist jetzt für mich ein Alptraum. Ich sehe nicht, wie man ihn menschlich, materiell und künstlerisch über Wasser halten kann, wenn er so weiter macht.

Ab 1934 werden Roths briefliche Hilferufe an Zweig immer eindringlicher und aggressiver. Dieser hat aber aus nachvollziehbaren Gründen Bedenken, Roth größere Summen auszuzahlen. Er könne mit Geld absolut nicht umgehen, er sei ein „Narr“, schreibt Zweig mehrmals in seinen Briefen an Dritte.

Ein Teil dieser „Narrheit“ ist Joseph Roths Umgang mit seinen Verlegern. Obwohl er im Vergleich zu Kollegen ein exzellentes Einkommen bezieht, kommt er damit nie aus. So lebt er gerne auf großem Fuß in luxuriösen Hotels. Als in den dreißiger Jahren der Geldstrom dünner wird, setzt eine Abwärtsspirale ein. Roth verschuldet sich immer höher bei seinen Verlagen. Er verlangt und bekommt hohe Vorschüsse auf noch ungeschriebene Bücher, verpfändet deren Auslandsrechte und terrorisiert alle Beteiligten mit Telegrammen über seine Geldangelegenheiten. In den letzten Jahren kommen zunehmend paranoide Aspekte hinzu: Er wittert Verschwörungen, droht mit Duellen und durchkreuzt Zweigs Vermittlungsversuche durch wilde Anschuldigungen.

Die Kehrseite der Medaille ist Roths große Humanität und Hilfsbereitschaft. 1930 wird seine Frau Frieda wegen psychischer Probleme in das Sanatorium Rekawinkel eingeliefert. Der Autor fühlt sich für ihre Krankheit verantwortlich und zahlt große Summen für kostspielige Privatsanatorien. Als ihm dies nicht mehr möglich ist, wird Frieda im Dezember 1933 in die Landesirrenanstalt „Am Steinhof“ eingeliefert. Dort ist der Aufenthalt gratis und der Gatte muss nur für die Verpflegung aufkommen. 1940 wird Frieda Roth im Rahmen des NS-Euthanasie-Programms ermordet.

Seine neue Freundin Andrea Manga Bell bringt weitere finanzielle Verpflichtungen mit sich. Roth kommt etwa für die Ausbildungskosten ihrer Kinder auf. Zusätzlich engagiert sich Roth aktiv in der Migrantenszene und unterstützt – trotz seiner Geldnöte – ärmere Autoren großzügig.

Das gibt der Situation Roths eine tragische Note, die den gesamten Briefwechsel durchzieht. Zusätzlich zu Roths traurigem Schicksal läuft Europa im Hintergrund eilend auf den Abgrund zu. Das Buch ergänzt beeindruckend die Augenzeugenberichte aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Joseph Roth / Stefan Zweig: „Jede Freundschaft mir mir ist verderblich“. Briefwechsel 1927-1938. Herausgegeben von Madeleine Rietra und Rainer Joachim Siegel (Wallstein)

[Erschienen in „Literatur und Kritik“ Mai 2012]

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