Ich werde oft gefragt, wie ich es in meiner Freizeit schaffe, zusätzlich zu allen anderen Kultur- und Reiseaktivitäten, auch noch so viele Bücher zu lesen. Worauf ich immer antworte, dass es so viele ja gar nicht mehr seien – hier geht es zu meiner Leseliste. Ich verweise auch gerne auf Buchverschlinger wie den Bibliomanen Markus Kolbeck.
So interessiert mich naturgemäß, wie andere Vielleser diese Frage beantworten, etwa Scott H. Young in How to Read 70+ Books in a Year. Seine Vorschläge werde ich im folgenden mit meinen eigenen Lesegewohnheiten vergleichen:
Step One: Learn to Speed Read
Für Fach- und Sachbücher kann man sich tatsächlich Schnelllesetechniken aneignen. Damit meine ich weniger, dass man die Lesegeschwindigkeit künstlich erhöht – Vielleser lesen ohnehin schnell -, sondern dass man den Mut zum Querlesen, Überblättern und zur Lücke hat. Die wenigsten Sachbücher erhalten auf jeder Seite Relevantes. So kann man durchaus zur Essenz eines Buches vordringen, ohne jeden Buchstaben gelesen zu haben.
Bei Literatur, und speziell bei Klassikern, ist das aber unmöglich, wenn man sie ästhetisch liest. Hier verlangt jedes Werk ein eigenes Lesetempo. Die Gedichte Paul Celans erlauben genauso wenig ein „speed reading“ wie Goethes Faust. Man kann sich natürlich als Literaturfachmann ein Bild über ein Buch machen, in dem man es quer liest. Das ist dann aber ein fachliches Leseerlebnis, kein ästhetisches.
Step Two: Always Have a Book
Hier gehe ich einen Schritt weiter: Man sollte immer mehrere Bücher gleichzeitig lesen, damit je nach Stimmung und Konzentrationsgrad eine Lesemöglichkeit besteht. Allerdings sollte man unterschiedliche Bücher gleichzeitig lesen. Also nicht drei Shakespeare-Stücke gleichzeitig, sondern z.B. ein Stück von ihm, einen aktuellen Roman und ein oder zwei Sachbücher.
Step Three: One Book at a Time
Nach dem oben Gesagten, widerspricht das meinen Erfahrungen.
Step Four: Fill Gap Time With Reading
Entspricht meiner Lesepraxis. Wobei ich in solchen Pausen oft auch Hörbücher mit meinem MP3-Player höre. Seit Dezember gehe ich nur selten ohne meinen Kindle aus dem Haus.
Step Five: Cut the Television and Web-Surfing
Ein sehr valider Tipp. Würde aus eigener leidvoller Erfahrung noch „cut social media“ ergänzen wollen.
Step Six: Keep a To-Read List
Noch besser als eine Leseliste, ist ein sogenannter SUB (Stapel ungelesener Bücher). Man sollte immer ungelesene Bücher daheim haben, damit man eine Auswahl hat.
Andere Erfahrungen?
Bis auf das Parallellesen stimmt ich dir zu. Wenn man der Typ dazu ist, ok. Ich kanns nicht. Selbst wenn sich die Lektüre hinzieht wie zurzeit bei mir mit den Klemperer-Tagebüchern 1933-45 bin ich nicht fähig, ein anderes Buch nebenher zu lesen. Und da es Parallellektüre streng genommen nicht gibt, ist dieser Punkt auch zu vernachlässigen.
Punkt 5 ist absolut entscheidend. Man kann nur dann lesen, wenn man die freie Zeit nicht mit anderen Aktivitäten verplempert. Reine Mathematik.Und Zeitabsorbierer Nr. 1 ist das eben social web.
Ohne Parallel-Lektüre käme ich kaum zu Sachbüchern. Speziell für dicke Sachbücher brauche ich oft viele Monate. Nur dieses eine Sachbuch zu lesen käme nicht in Frage, dafür sind meine Interessen zu breit.
Zweitlektüren von Klassikern gehen auch gut „nebenbei“ bei mir. So lese ich im Moment alle 6 Wochen ein Buch aus „Tristram Shandy“.
Parallellesen kann ich auch nicht. Habe es mehrmals versucht und kam jedesmal durcheinander.
Punkt 4. Das ist ein echtes Problem. Arbeit und anderes versauen einem echt die Lesezeit. 😉 Ich hoffe auf einen baldigen Ruhestand.
Wie man unter schwierigsten Bedingungen trotzdem ein Bücherleben praktiziert, verfolge ich bei Victor Klemperer, der neben Nahrungssuche, -zubereitung, Hauswirtschaft, hungernd, Bücher liest, seiner Eva vorliest, Notizen macht, Tagebuch führt. Das ist atemberaubend zu lesen.
Das ging mir auch so, hatte in meinen Anfangsjahren als Maler oft über Monate kein Heizmaterial, lag im Schlafsack im Atelier und las, oft auch fünf Bücher gleichzeitig, aber alle gegensätzlicher Natur, so hat man es ausgehalten und dem Überleben einen Sinn gegeben. Gruß WB
Parallellesen statt sich dazu zu zwingen immer nur an einem weiterzulesen, finde ich auch darum wichig, weil man manchmal (Warten, Bahnfahren etc.) nur kleinere Zeitpausen hat, und nicht alles eignet sich dazu, in kleinen Häppchen gelesen zu werden. Aber andererseits gibt es aber auch Romane, die (jedenfalls bei mir) keine Unterbrechungen vertragen, weil man beim nächsten Lesen nicht wieder reinfindet.
Zum Beispiel Hermann Brochs Vergil. Da reichen selbst 45 Minuten Zugfahrt nicht für fünf Seiten.
Passt. Stichwort SUB: Auf dem Kindle habe ich eine Sammlung „Aktuell“ angelegt, da sind immer so um die 10 Titel. Derzeit etwa von Fontane, Meyrink, Roth, May, Herder, Verne, Chamisso und Storm.
Den Kindle benutze ich ähnlich. Allerdings ist „aktuell“ bei mir, nicht in eine Sammlung sortiert. Die Bücher sind auf der Startseite.
Punkt 1 stimme ich Dir zu.
Punkt 2 (Parallellesen) ebenfalls. Ideal sind bei mir: eine Wiederholungslektüre (aktuell Russells Philosophie des Abendlands), eine „belletristische“ Lektüre (aktuell Shakespeare, wobei einiges davon dann gleichzeitig Wiederholung ist) und ein Sach- oder Fachbuch (aktuell Wilhelm von Humboldts Werke). Ein viertes Buch kann sein, muss nicht. Ein fünftes ist die Grenze, zu einem sechsten bin ich nie gekommen.
Punkt 4 befolge ich nicht. Aus Prinzip. Hörbuch kann ich nicht.
Punkt 5: TV schaue ich kaum mehr. Weil es mich einfach immer weniger interessiert.
Punkt 6: Teils teils. Weil: Auch schon mal gelesene Bücher reizen mich immer mal wieder. 😉
Russells „Philosophie des Abendlands“ ist voller Fehler und gilt unter Fachphilosophen als schlechter Scherz. Da gäbe es viele bessere Bücher.
Ein paar Tipps?
Natürlich gibt es „viele bessere Bücher“. Es gibt sogar bessere Philosophiegeschichten. Es gibt Bücher, die lese ich nicht, weil sie „gut“ sind, sondern weil ich mich daran reiben kann. ;o)
Ich glaube, wenn jemand gern liest, braucht er eigentlich keine Tipps. Man wird von selbst die für sich passende „Menge“ finden, die Quantität allein macht das Lesen ja noch nicht zum Vergnügen. Wer sich zum Lesen zwingen muss, wird vermutlich auch mit Tipps eher nicht zum Vielleser ; ) Parallellesen ist in der Tat sehr gut, um sich je nach Zeit und Stimmung mit interessantem Lesestoff zu versorgen. Und ein oder mehrere Stapel Ungelesenes ergeben sich fast automatisch, wenn man gern und viel liest. Gut für mich, entspricht doch die Sorge, kein ungelesenes Buch im Hause zu haben in etwa der, die letzte Zigarette zu rauchen und keine weiteren Päckchen vorrätig zu haben ; )
Hab seit zehn Jahren kein Fernseher mehr, das führt automatisch zu ein bißchen mehr an Buch, aber ohne Fernseher macht selbst die gelegentliche Langeweile Spaß …
Ich deklariere regelmäßig Bücher als „nutzlos“ und lese sie einfach trotzig statt der eigentlich verordneten Lektüre für Studium/Jobs. Sie sind natürlich nicht nutzlos, aber das Gefühl, sich etwas zu gönnen, motiviert – und die eigentlich anstehenden Texte liest man dann ohnehin, was bleibt einem übrig. 😉
Ich kann nicht anders, als mehrere Bücher parallel zu lesen, derzeit „Ulysses“ zum 2. Mal, der führt mich derzeit zu Fritz Senn (nach „Nichts gegen Joyce“ heute „Nicht nur nichts gegen Joyce“ begonnen) – für mich so fesselnd wie für andere ein Krimi.
Meine zweite Leidenschaft ist Musik, seit Monaten intensive Auseinandersetzung mit Mahler und Gielen, also Sachbücher und Partituren.
Als Bettlektüre brauch ich dann einen Absacker, momentan „Im Brunnen der Manuskripte“ von Jasper Fforde.
Hallo, ich kann mich einfach nicht mit „Ulysses“ anfreunden oder verstehe auch nicht ansatzweise was dieses Buch „soll“. Das ist nicht böse gemeint, ich würde es gerne verstehen aber ich glaube es ist bei mir vertane Liebesmüh.
Kannst du mir mit wenigen Sätzen sagen, was das für ein komisches Buch ist?
Ich werde es wohl bald in den Bücherschrank stellen.
Ich versuchte es bei der ARD Audiothek zu hören, aber ich bekam Kopfschmerzen und wurde müde.
Vielleicht bin ich einfach nicht dafür geschaffen 🤷🏻♀️
Vielleicht kann diese Notiz etwas dabei helfen?
https://www.koellerer.net/2010/12/18/james-joyce/
«Noch besser als eine Leseliste, ist ein sogenannter SUB (Stapel ungelesener Bücher).»
Sehr lustig. Ein Stapel, hm? 😉
Das war natürlich metaphorisch gemeint, wie man hier sieht: http://twitpic.com/8tw8i3
Leider gehöre ich zu denen, die nie genug Zeit haben, alles zu lesen, was sie lesen wollen. Da hilft auch schneller lese nicht. Jedes Buch zeigt auf 5 weitere, die noch zu lesen wären, Hinweise da und dort und eigene Ideen bringen noch ein paar dazu. ab und an hemmt das förmlich, weil ich nicht mehr weiss, womit ich nun loslegen soll. Aber grundsätzlich stimme ich dem zu: Mehrere Bücher aufs Mal und immer eins dabei. Und ich lese immer mit Bleistift bewaffnet – im besten Fall noch mit Notizbuch. Was leider wieder das Tempo drosselt.
Früher habe ich viele Bücher gelesen in der Hoffnung, dass ich irgendwann an dem Punkt angelangt sein werde, da es keine neuen mehr gibt, weil ich alle gelesen habe (im Grunde eine schreckliche Vorstellung – wie wenn man an keinem Ort auf der Welt fremd sein könnte).
Heute lese ich viele Bücher in der Hoffnung, irgendwann keine mehr zu lesen, da mir irgendein Buch das gegeben hat, was ich in seinen Vorgängern gesucht habe, und da ich nun nicht mehr suchen muss.
Ein schrecklicher Zustand der Erlösung.
Ohne Parallellesen käme ich auch nicht vorwärts. Aber ich habe herausgefunden, daß sich immer ein Buch in den Vordergrund drängt und dann auch zügig durchgelesen wird.
Das mit dem „Immer mehrere ungelesene Bücher daheim haben“ ist für mich auch ein entscheidender Schlüssel.
Wobei der relevante Faktor für mein Leseverhalten da oben nicht genannt ist: meine private Situation. Es gibt Jahre im Leben, da kommt man viel zum Lesen, es gibt Jahre (beispielsweise wenn man Kleinkinder hat), da kommt man eher wenig dazu. Da kann man noch so viele Stapel guter Bücher daheim haben. 😉
@Dyrnberg Eine Junggesellenexistenz ist natürlich eine zwingende Voraussetzung für ein ungestörtes Bücherleben. Ich jedenfalls mußte nie über Zeiten klagen, in denen Lesen durch äußerliche Faktoren wesentlich beeinträchtigt war.
Klasse Ideen – hier meine SUB:
http://literarische-ecke.blogspot.co.at/2013/10/hitliste-der-ungelesenen-bucher.html
Das mit mehreren Büchern gleichzeitig seh ich eher gemischt, denn parallel lesen kann auch dazu führen, nichts richtig zu lesen.
Auf keinen Fall jemanden heiraten, der/die weniger Bücherwurm ist als man selbst! (aus leidvoller Erfahrung)
Ich habe gute Erfahrungen mit moderner Ebook Software gemacht. z.B. „Marvin“ oder Apples iBooks auf iPhone und iPad synct dann den Fortschritt zwischen den Geräten. Ich kann mit dem iPhone lesen, falls das iPad gerade nicht da ist und habe nie kein Buch zur Hand.
Außerdem habe ich einen SUB neben dem Bett, auf den ich auch gerne Sachen packe, die ich ein zweites oder siebentes Mal lesen möchte.
Ich lese auch immer mehrere Bücher gleichzeitig, Derzeit z.B. Deadwood von Pete Dexter, Die Digitale Gesellschaft Beckendahl/Lücke, Saints of the Shadow Bible von Ian Rankin und Der Kaufmann von Venedig.
[…] um mich mit einem auseinanderzusetzen (bedenkenswert auch die Erfahrungen des geschätzten Dr. Köllerer). Lexikon und Atlas sollten ja ohnehin selbstverständlich herangezogen werden, aber meist schaue […]