Wiener Staatsoper 9.6. 2012
Dirigent: Louis Langrée
Regie: Jean-Louis Martinoty
Conte d’Almaviva: Gerald Finley
Contessa d’Almaviva: Maija Kovalevska
Susanna: Aleksandra Kurzak
Figaro: Luca Pisaroni
Cherubino: Serena Malfi
Über den exzellenten Don Giovanni an der MET berichtete ich kürzlich. Es freut mich, dass auch die Wiener Staatsoper in einer Repertoireaufführung dieselbe Qualität aufzubieten vermag: Musikalisch war der Abend ausgezeichnet. Sängerinnen und Sänger waren wohl disponiert und speziell die lyrischeren Arien wurden hervorragend gegeben. Schauspielerisch gelang es passabel, die komischen Seiten der Oper auszuspielen, was für Sänger ja keine Selbstverständlichkeit ist.
Die Inszenierung fiel nicht weiter auf: Das Bühnenbild bestand überwiegend aus großen Gemälden, meist Stillleben. Man muss in der Staatsoper bereits dankbar sein, wenn man keinen musealen Realismus geboten bekommt. Um diese Erwartungshaltung aber nicht zu enttäuschen, steckte man zumindest die Sänger in zeitgenössische Kostümierungen.
Viele halten Le Nozze di Figaro für die beste Oper Mozarts, nicht zuletzt wegen der Komplexität des perfekt in Musik gesetzten Librettos, das nicht nur die Liebe in allen Facetten analytisch ausleuchtet, sondern auch der Aristokratie den Spiegel vorhält. Nach diesem Abend tendiere ich dazu, mich dieser Meinung anzuschließen.
Etwa ein Viertel des Publikums stellten Touristen, welche eine Mozartoper so absitzen wie Kinder lange Zahnarztbesuche.
Was ist denn bitte an zeitgenössischen Kostümierungen oder gar museal realistischem Bühnenbild so verwerflich? Mir scheint beides sowohl zur Musik als auch zum Plot immer noch am besten zu passen. Eine dermaßen privilegierte Aristokratie gibt es bekanntlich zumindest in unseren Breiten nicht mehr. Was insofern daran doch noch relevant sein mag, sollte man ohne äußerliche Modernisierung herausfinden können. Daher genügt es als Verfremdungseffekt wohl, wenn das Stück heutzutage aufgeführt und angesehen wird. Oder würden Sie es für sinnvoll halten, wenn die Darsteller der von Ihnen gelobten Baltimore-TV-Serie in Rokokokulissen und -kostümen agierten?
In ein paar Worten ist das schwer zu beantworten: Prinzipiell sind für mich Theater & Opern wegen der universellen menschlichen Themen interessant, die sie behandeln, das historische Setting ist für mich kontingent und (meistens) zweitrangig. Außerdem interessiert mich, wie aktuelle Regisseure sich mit diesen klassischen Stücken auseinandersetzen, also wie Weltliteratur von Zeitgenosssen „verarbeitet“ wird. Nachdem ich sehr viel ins Theater gehe, wo ja zeitgenössische Kleidung etc. seit langem die Regel und nicht mehr die Ausnahme ist, schlägt sicher auch ein Gewöhnungseffekt zu: Der Kontrast zu traditionellen Operninszenierungen ist sehr hoch.