Nie war die formale Vielfalt der Weltliteratur größer als im letzten Jahrhundert. Auf der einen Seite gibt es Werke von größter Komplexität wie den grandiosen Ulysses oder von beeindruckender Intellektualität wie den Mann ohne Eigenschaften. Auf der anderen Seite gibt es scheinbar schlichte Bücher wie The Great Gatsby, deren Sprache auf den ersten Blick einfach und deren Handlung banal wirkt.
Der Roman spielt im Milieu der reichen Leute auf Long Island, bei denen unkultivierte Langeweile herrscht. Man liegt mit Vorliebe auf teuren Sofas mit Cocktails herum, führt Gästen seine tolle Villa vor, gibt Partys oder fährt zur Zerstreuung nach Manhattan, um sich in einem der Luxushotels kollektiv zu betrinken. Geschickt wählt Gatsby mit Nick Carrawy einen intelligenten Erzähler, Yale-Absolvent, der dieser Gesellschaftsschicht nicht angehört, und deshalb mit glaubwürdiger Distanz beobachten kann. Das ist die Kulisse, vor der sich die Geschichte des Jay Gatsby entfaltet, der sich gemäß des amerikanischen Mythos vom armen Schlucker zu beeindruckendem Reichtum empor arbeitete. Teilweise mit fragwürdigen Methoden, versteht sich. Fitzgerald versteht es vorzüglich, durch die sukzessive Enthüllung des geheimnisvollen Gatsby und dessen „Liebes-Tragödie“ Spannung aufzubauen. Gatsby zählt zweifellos zu den bemerkenswertesten Figuren der amerikanischen Literatur und selbst sein Tod ist ja bis heute eine amerikanische Spezialität geblieben: Er wird erschossen.
Die Figur Gatsby ist sicher einer der Gründe, warum der Roman nie fehlt, wenn von der besten amerikanischen Literatur die Rede ist. Wichtiger sind aber die ästhetischen Qualitäten. Zu nennen wären hier die großartige erzählerische Ökonomie und die symbolische Verdichtung amerikanischer Mythen. Obwohl The Great Gatsby viel belangloses Geschwätz amerikanischer Neureicher widergibt, enthält er ironischerweise keinen einzigen geschwätzigen, überflüssigen Satz. Die formale Komposition ist von beeindruckender Perfektion. Der scheinbar realistische Erzählstil spielt ständig auf die großen amerikanischen Themen (Erfolg, Arm/Reich, Stadt/Wilder Westen etc.) an. Unterhalb brodelt es und die Blasen schlagen durchschlagen immer wieder die Oberfläche. Als wäre das noch nicht genug, ist Fitzgerald ein genialer Beschreiber. Welcher Autor sonst kann kitschfrei Nächte samt Sternenhimmel und Meer beschreiben?
Einer der besten amerikanischen Romane, indeed.
F. Scott Fitzgerald: The Great Gatsby (Penguin)
Er wird… erSCHOSSEN?? Aaaaaaargh! Neein! Lieber Meister Koellerer, sollten Sie mein zorniges Memo zum Thema Spoiler noch nicht gelesen haben?
http://habichtsburg.blogspot.com/2012/07/spoiler.html
Und ich hatte kurz ueberlegt, Gatsby zu lesen… Oder wird er in der ersten Szene gemeuchelt? Dann darf ich noch hoffen…
Bei Klassikern gibt es keine „Spoiler“. Überspitzt ausgedrückt: Bei guten Büchern ist das Wie immer viel Interessanter als das Was.
Das Memo zu Spoilern in allen Ehren, aber bei einem Roman von 1925? Kommt mir ein bisschen so vor, als wenn sich jemand aufregt, dass man ihm das Ende vom Film Titanic verraten hat …
Wenn das Buch „Danton’s Tod“ heißt, darf ich mich klar nicht beschweren. THE GREAT GATSBY mag von 1925 sein, aber ich sollte dennoch das Recht haben, nicht zu wissen, welche Wendungen darin vorkommen; für manche Leser ist das Was halt auch wichtig. Ich kann nicht einfach vom Plot abstrahieren und mich nur über die Konzepte und die Sprache freuen…