Wiener Staatsoper 29.11. 2012
Dirigent: Simone Young
Inszenierung: Otto Schenk
Hans Sachs: James Rutherford
Sixtus Beckmesser: Adrian Eröd
Walther von Stolzing: Johan Botha
David: Norbert Ernst
Eva: Christina Carvin
Je öfter ich die Meistersinger besuche, desto überzeugter bin ich, dass man der Oper nur gerecht wird, wenn man sie aus vor allem kunstphilosophischer Perspektive versteht. Selbstverständlich gibt es noch die Ebene der Liebesgeschichte, der deutschen Historie usw. Alles verblasst aber, wenn man sich Wagners Auseinandersetzung mit dem zentralen Angelpunkt des Werkes ansieht: Was ist gute Kunst? Als Bonus bekommt man noch seine Sticheleien zum Thema. So war es kein Geheimnis, dass er im dümmlich-komischen Beckmesser den damals berühmten Wiener Musikkritiker und polemischen Wagner-Gegner Eduard Hanslick karikierte.
Die Frage im Zentrum ist eine der berühmtesten der Ästhetik: Funktioniert gute Kunst nach Regeln oder weicht gute Kunst (immer?) von vorgebenen Regeln ab bzw. ist regelautonom? Ich selbst bin davon überzeugt, dass gute Kunst viel mehr mit dem Verletzen von Normen zu tun hat als mit deren Erfüllung. Die Meistersinger illustrieren dies anhand ihrer strikten Gesangsregeln. Ein Meistersinger kann nur der werden, wer nach jahrelangem Studium und Übung dieses komplexe Gesetzeswerk beherrscht. Als Walther von Stolzing sein Lied singt, dass gegen viele dieser Regeln verstößt, löst er Empörung und Spott aus, obwohl es ein gutes Lied ist. Am Ende gewinnt die freie, neue Kunst, soweit ist die Geschichte ja bekannt.
Wagners Libretti sind ja generell nicht so dumm, wie der intellektuelle Mainstream meint. Sie haben ausgezeichnete Passagen, bei den Meistersingern beispielsweise viele von Hans Sachs gesungene. Gleichzeitig gibt es jede Menge an Dämlichkeiten wie in dieser Oper das Ende, wo gegen den „welschen Tand“ gehetzt wird. Diese Dummheiten sollte eine gute Inszenierung ironisieren, was beim biederen Bühnenspiel des Otto Schenk selbstverständlich nicht passiert.
Musikalisch ließ die Aufführung keine Wünsche offen, auch wenn das Staatsopernorchester wie so oft einige Einspielzeit benötigte. Vokal gab es kaum etwas auszusetzen. Herausragend wie üblich: Der Chor! Brillant war Adrian Eröd als Beckmesser. Einer der wenigen Opernsänger mit großem schauspielerischen Talent.
Ihre Rezension hat mich begeistert. Noch zu selten findet man Kunst auf diese Art interpretiert. Wagner ist dafür ein treffendes Beispiel. Ich danke Ihnen.
So habe ich gleichzeitig Ruprecht Frieling auf Ihren Artikel aufmerksam gemacht. Er ist ein großer Wagner-Fan. Er nähert sich ihm über die neue CyberSpace-Technik und wird damit vor allem junge Leute erreichen. Für sein demnächst erscheinendes Buch über Wagner und die Nibelungen habe ich ein Vorwort geschrieben.
Danke, er hat sich bereits bei mir gemeldet.