Geschrieben für „The Gap“. Hier geht es zum Originalartikel.
Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ ist bekanntlich das Nonplusultra der Hochkultur. Konsequent das im Wagnerjahr im Gemeindebau aufzuführen. Christian Köllerer war dort.
Jedes Jahr pilgert die Prominenz nach Bayreuth. Weniger um Wagner zu hören, sondern um dort seine Kultiviertheit öffentlich zur Schau zu stellen. Dieses Jahr werden es noch mehr werden: Der Kulturbetrieb hat anlässlich seines 200. Geburtstags ein Wagnerjahr ausgerufen. Jede Oper weltweit, die es sich leisten kann, führt heuer den Ring auf. So entbehrt es selbstverständlich nicht der Ironie, sich diesem Spektakel ausgerechnet im Wiener Gemeindebau zu widmen. Das Theater Rabenhof lud zum kompletten Ring in vier Teilen. Während die Aufführung der vier Stücke jede Oper an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit bringt, bewältigt das kleine Theater das Mammutspektakel mit Leichtigkeit: Ein Schauspieler und eine Handvoll Musiker sind für den kompletten Zyklus ausreichend.
Solo-Germanengötterspiel
Geräuschfetischist Stefan Kaminski wagt sich nämlich alleine an das Großprojekt. Er nennt sein Format „Live-HörSpiel-Theater“. Auf der Bühne im T-Shirt vor mehreren Mikrophonen sitzend und eingerahmt von diversen Instrumenten und Gegenständen zur Klangerzeugung, spielt er alle (!) Rollen des Rings selbst. Der Schlüssel dafür ist Kaminskis gewaltige Stimmen- und Gestenvielfalt. Egal, ob der böse Zwerg Alberich seine Hasstiraden anstimmt oder die frustrierte Fricka Wotan in den Ohren liegt: Kaminski erweckt sie stimmlich zum Leben. Sein Spektrum reicht vom genuin Bösen bis zum parodistisch Lächerlichen. Das Spektakel begleitet Kaminski selbst mit Geräuschen. Das Plätschern der Rheintöchter, das Pferdetrampeln der Walküren oder die brennende Götterburg am Ende, alles wird von ihm live simuliert. Dabei bedient sich Kaminski Wagners Methode des Leitmotivs. Während Wagner allen Figuren und vielen Motiven des Rings eine Tonfolge zuweist, macht Kaminski das mit Geräuschen, Gesten und Requisiten. Wenn er als Loge spricht, wird das immer von einem brennenden Zündholz begleitet, Hagen durch ein rhythmisches Klopfen angekündigt oder Wotans Speer von ihm in Händen gehalten.
Unterstützung bei der Geräuscherzeugung und der musikalischen Untermalung bekommt Kaminski von zwei bis drei Musikern, die ebenfalls auf der Bühne sind. Dieses Konzept ist ausgesprochen originell und funktioniert überraschend gut, auch wenn sich der Originalitätsfaktor nach den ersten zwei Teilen merklich abnutzt. Das Publikum hängt trotz der komplizierten Geschichte und der seltsamen Sprache Wagners an Kaminskis Lippen. Zu Beginn versichert er glaubwürdig, dass er ein Wagnerfan geworden sei. Ein großes Verdienst seines Ringprojekts ist es sicher, opernferne Menschen erstmals mit Wagners monumentalem Werk zu konfrontieren. Es wäre interessant zu wissen, ob sich jetzt einige der Rabenhof-Besucher im Mai auch in die Wiener Staatsoper wagen, wo der Zyklus im Mai wieder komplett auf dem Programm steht.
Wager-Slapstick
Wie viel Wagner ist in Kaminskis Ring? Musikalisch finden sich einige der wichtigsten Motive verfremdet wieder. Ansonsten scheut sich Kaminski nicht, Wagners Musik durch eigene zu ersetzen. Viele musikalische Genres kommen zum Zug, vom Rap bis zum Schnulzenschlager, der das Duett zwischen Brünnhilde und Siegfried am Ende des dritten Teils parodiert.
In der Oper ist der „Ring des Nibelungen“ etwa sechzehn Stunden lang und damit eines der längsten und komplexesten Werke der Musikgeschichte. Die Komplexität der musikalischen Struktur beschäftigte inzwischen mehrere Generationen von Musikwissenschaftlern. Wagner gelingt es, zwingende musikalische Bezüge zwischen Elementen herzustellen, welche fünfzehn Stunden weit auseinander liegen. Einigen Komponisten gelingt diese Verknüpfung in kurzen Symphoniesätzen oft nur mit Tricks. Selbst wenn man Kunst und Literatur hinzunimmt, gibt es kaum Beispiele von vergleichbarer ästhetischer Dichte. Was bleibt davon bei Kaminski übrig?
Nimmt man die Länge ist seine Bearbeitung auf fünf Stunden gekürzt. Inhaltlich lässt Kaminski wenig aus: Die Handlung des Mythos wird gut transportiert. Auch hier nimmt sich der Stimmkünstler viele Freiheiten, kehrt aber immer wieder zum Libretto zurück, das gesprochen freilich oft unfreiwillig komischer klingt als wenn es in der Oper gesungen wird. Wagners Musik macht die Figuren eigentlich erst zu dem, was sie sind. Diese Dimension fehlt hier zwangsläufig. Es fällt auch auf, dass Kaminski immer wieder auf Slapstick zurückgreift, selbst wenn es so gar nicht zu Wagners Werk passt. Im „Rheingold“ wird Wotan ein zahnloser Greis, im „Siegfried“ ein hemmungsloser Säufer. Beides stößt natürlich auf Enthusiasmus im Publikum, nimmt dem Ringmythos aber ein grundlegendes tragisches Moment. Allerdings ist es angesichts der Rezeptionsgeschichte des Rings – Hitler war ein großer Wagnerfan – auch völlig legitim, einmal das Pathos aus dem Zyklus zu nehmen.
Kaminski ON AIR
Ring des Nibelungen
Rabenhof Theater, 19. – 23. März
Mit Hella von Plötz, Natascha Zickerick, Stefan Brandenburg, und Sebastian Hilken.
Bei dieser Kritik tuts einem wirklich leid es nicht gesehen zu haben.
Eine sprachliche Anmerkung hätte ich noch: Bei „sogar nicht“ im letzten Absatz hätte ich das Leerzeichen irgendwie anders gesetzt.
Ausgebessert. Danke.
Vielen Dank für diesen Bericht. Dafür, dass Kaminski ON AIR erstmals in Österreich auftrat, war der Erfolg grandios. Derzeit gastiert der »Ring« live an der Frankfurter Oper, dann in Berlin an der Neuköllner Oper und im August schließlich in Bayreuth, der »Höhle des Löwen«.
Aktuelle Termine gibt es hier: http://www.kaminski-on-air.de/termine.html