Laurence Sterne: Leben und Meinungen des Tristram Shandy, Gentleman.

Der Tristram Shandy ist einer der raffiniertesten Romane der Weltliteratur. Veröffentlicht wurde er in neun Bänden zwischen 1759 und 1767. Bereits der erste Band macht seinen Verfasser berühmt. Er zählt zu den komischsten Büchern der Literaturgeschichte und ist ein Höhepunkt des britischen Humors. Wer verstehen will, aus welcher Tradition der abartige Humor Monty Pythons stammt, muss ebenfalls diesen verrückten Roman kennen. Ich las ihn eben zum dritten Mal, und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.

Laurence Sternes Verfahren lässt sich leicht beschreiben: Er ist einer der größten Meister der Metafiktionalität. Das heißt er verwendet die Methoden der Romankunst und spielt diese gegen sich selbst aus. Klingt kompliziert, ist aber einfach. Das grundlegende Verfahren ist sein Spielen mit der Erzählzeit versus erzählter Zeit. Tristram Shandy will sein Leben beschreiben und brav konventionell mit seiner Geburt beginnen. Es kommen ihm aber so viele Ablenkungen und Abschweifungen dazwischen, dass der fiktive Autor bereits jahrelang hunderte Seiten schrieb und immer noch nicht bei seiner Geburt angelangt ist, die erst im dritten Buch stattfindet. Sterne spielt furios mit den Lesererwartungen auf allen Ebenen. Alle Erfahrungen, die man bisher beim Lesen von Romanen machte, werden über den Haufen geworfen. Es gibt leere Seiten, nicht-schriftliche Einschübe, abgebrochene Kapitel. Figuren werden mitten im Satz unterbrochen und dürfen ihn erst viele Kapitel später zu Ende sprechen. Nichts ist so wie es scheint! Wie grandios Sterne das beherrscht, zeigt sich daran, dass er selbst heute noch uns belesene zeitgenössische Bücherfreunde zu überraschen vermag. Obwohl wir postmoderne und damit formal hoch verspielte Romane kennen. Ein Nebeneffekt dessen ist, dass literaturwissenschaftlich unvorgebildete Leser auf den Präsentierteller geliefert bekommen, wie Literatur funktioniert. Selbstverständlich hatte Sterne Vorläufer wie Cervantes oder Rabelais, aber niemand trieb es so auf die Spitze wie der Engländer.

Sternes berühmtes Buch besteht also ausschließlich aus Abschweifungen aller Art sowie einigen der schrulligsten Figuren, welche die Weltliteratur hervorgebracht hat. Vater Walter Shandy steckt voll der verrücktesten gelehrten Ideen, vertritt die abstrusesten Hypothesen und liest die schrägsten Bücher, die immer wieder auch ausführlich zitiert werden. Nebenbei bekommen wir hier eine Gelehrten-Satire serviert, die sich gewaschen hat. Der durch und durch gutmütige Onkel Toby geht mit Hilfe seines Dieners Trims seiner Besessenheit mit Belagerungen nach und baut auf einem Feld eingekreiste Städte nach. Kurz, auf uns Leser wartet ein Exzentrikerkabinett erster Güte.

Insgesamt betrachtet, ist die Gesamtkonstruktion des Romans nicht so makellos, wie dessen Digressionsästhetik. So wirkt der siebte Band mit der Frankreichreise als struktureller Fremdkörper. Man könnte auch den Einwurf erheben, Tristram Shandy sei sehr artifiziell und in Wahrheit nur eine raffinierte Spielerei. Dagegen würde ich einwenden, dass erstens in der Kunst nichts gegen gelungene zwecklose Raffinesse zu sagen ist und zweitens, der Roman durchaus eine tragische Seite hat. Unter der komischen Decke lauern nicht nur die geschilderten Alltagskatastrophen, sondern gerade die besten satirischen Kapitel machen einen doch sehr nachdenklich über den Zustand der Welt und der Menschen.

Laurence Sterne: Leben und Meinungen des Tristram Shandy, Gentleman (Manesse)

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