Der Ring des Nibelungen

Wiener Staatsoper
Das Rheingold, 12.5. 2013
Die Walküre, 15.5. 2013
Siegfried, 19.5. 2013
Götterdämmerung 22.5. 2013

Dirigent: Franz Welser-Möst
Regie: Sven-Eric Bechtolf

Wotan: Tomasz Konieczny
Alberich: Wolfgang Bankl
Mime: Gerhard A. Siegel
Fafner / Hunding: Ain Anger
Loge: Norbert Ernst
Siegmund: Simon O`Neill
Sieglinde: Camilla Nylund
Brünnhilde: Nina Stemme
Fricka: Mihoko Fujimura
Siegfried: Stephen Gould
Hagen: John Tomlinson
Gunther: Boaz Daniel
Gutrune: Caroline Wenborne
uvm.

Selbst Intellektuelle werfen Wagner gerne vor, seine Musik sei nationalistisch, aufhetzend, kurz: politisch völlig unerträglich. Wenn ich dann nachfrage, stellt sich fast immer heraus, der Betreffende kennt keine einzige (!) Wagner-Oper, weiß aber, die Nazis seien begeisterte Wagnerianer gewesen.

Wagners Hauptwerk, Der Ring des Nibelungen, könnte in Wahrheit nicht weiter von diesen Unterstellungen entfernt sein: Es ist eines der abgründigsten und düstersten Werke der Kulturgeschichte. Macht- und Geldgier, Raub und Diebstähle, Ausbeutung und Sklavenarbeit, Mord und Betrug prägen die Geschichte. Am Ende steht die Apokalypse, kein tausendjähriges Reich. Die Erlöserfigur, der junge Siegfried, ist ein peinlicher pubertärer Volltrottel. Der Ring reiht sich ein in die besten misanthropen und dystopischen ästhetischen Produktionen des Abendlandes. Er ist hellsichtig rätselhaft wie die Werke Kafkas und brutal erbarmungslos wie die besten Bilder des Hieronymus Bosch. Wer die vier Opern unbedingt auf politische Motive durchforsten will, der wird viel Progressives finden. Das Nibelungenreich unter Alberichs Fuchtel ist eine böse Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung von Arbeitern. Bis heute hoch aktuell, wenn man an Foxconn und Co. denkt. Die Institution der Ehe wird ausgesprochen negativ dargestellt. Die entsetzliche Strafe, die Wotan der ungehorsamen Brünnhilde zugedenkt ist: Hausfrau zu werden.

Damit sind wir bei einer der faszinierendsten Fragen angelangt: Wie war es möglich, dass diese Dystopie bei Nationalisten solchen Anklang fand? Die Antwort liegt selbstverständlich im Menschen Wagner und seinen unappetitlichen Anschauungen begründet. Wagner, der Antisemit, dem Juden zu seinem Durchbruch verhalfen. Wagners Werke sind aber ironischerweise nicht nur viel intelligenter als seine Schriften, sie widerlegen diesen Unfug sogar. Wenn es um Ästhetik geht, sind Kunstwerke immer unabhängig von ihrem Schöpfer zu bewerten. Wären Newtons Bewegungsgesetze weniger elegant, wenn er ein Raubmörder gewesen wäre? Sympathische Kunstschaffende, die Großes geleistet haben, gibt es wenige. Läse, hörte oder sähe man nur noch von moralisch einwandfreien Menschen hervorgebrachte Werke, bliebe kaum etwas übrig.

Die ästhetische Leistung Wagners kann niemand in Frage stellen, der sich mit dem Ring einmal in Ruhe beschäftigt. Nicht nur schuf Wagner eine völlig neue Kunstform und war damit einer der wichtigsten Avantgardisten des 19. Jahrhunderts. Eine so dichte, funktionierende musikalische und semantische Struktur über fünfzehn Stunden Musik zu ziehen, ist in der Kulturgeschichte eine einmalige Leistung.

Es war zu erwarten, dass sich die Wiener Staatsoper zum 200. Jahrestag Wagners, besonders große Mühe geben würde. Tatsächlich war diese Aufführung musikalisch mit Abstand die beste, die ich bisher hörte. Franz Welser-Möst brachte das Staatsopernorchester zu Höchstleistungen. Sensationell war die sängerische Leistung. Tomasz Konieczny war ein famoser Wotan, dessen Energie schier unbegrenzt zu sein schien. Nina Stemme war als Brünnhilde in Höchstform. Besser kann man diese Partie nicht singen. Norbert Ernst gab, meiner Erinnerung nach zum ersten Mal, den Loge und brillierte. Simon O`Neill als Siegmund und Camilla Nylund als Sieglinde leiteten Die Walküre exzellent ein. Der Siegfried des Stephen Gould war ebenfalls Referenz.
Die ersten drei Opern des Zyklus waren musikalisch phänomenal. Das hätte weltweit wohl niemand besser hinbekommen als die Wiener Staatsoper. Auf hohem Niveau enttäuscht hatte mich aber die Götterdämmerung, welche in der Wiener Presse sehr gelobt wurde. Orchestral war auch sie exzellent (trotz eines Riesenpatzers bei den Bläsern) und die bereits gelobten Sänger waren sehr gut. Mein Eindruck wurde allerdings vor allem durch John Tomlinson getrübt. Er fiel nicht nur stimmlich deutlich von den anderen ab, seine schauspielerische Leistung beschränkte sich auf das Aufreißen des Mundes und auf das Herumfuchteln mit dem Speer. Auf mich wirkte er mit seinem weißen Bart wie eine missglückte Nikolaus-Satire: Von Dämonie keine Spur. Auch der Staatsopernchor sang hörbar unpräzise.

Die Inszenierung wird auch beim wiederholten Male sehen nicht besser. Speziell, wenn Pferdefiguren auf der Bühne sind, winkt der Kitsch jedes Mal freundlich in den Zuschauersaal.

Ohne die beiden musikalischen Schwachpunkte, hätte es eine musikalische Referenzleistung sein können. Insgesamt jedenfalls eine großartige Leistung aller Beteiligten.

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