Akademietheater 17.4. 2016
Regie: Simon Stone
John Gabriel Borkman: Martin Wuttke
Gunhild Borkman, seine Frau: Birgit Minichmayr
Erhart Borkman, ihr Sohn: Max Rothbart
Ella Rentheim, Gunhilds Zwillingsschwester: Caroline Peters
Fanny Wilton: Nicola Kirsch
Wilhelm Foldal: Roland Koch
Frida Foldal, seine Tochter: Liliane Amuat
Dieser Theaterabend lädt zu einigen grundsätzlichen Überlegungen über die Beziehung von Klassikern und deren Aktualisierungen im Theater ein. Wer meine Theaternotizen kennt, weiß, dass ich prinzipiell ein Freund des modernen Regietheaters bin. Allerdings funktionieren nur wenige dieser Inszenierungen wirklich gut, weil vielen Regisseuren inzwischen der persönliche Bezug zu den Klassikern fehlt. Freilich gibt es einige Theatertalente wie Andrea Breth oder Martin Kusej, denen überdurchschnittlich oft herausragende Inszenierungen gelingen. Diesen „John Gabriel Borkman“ zähle ich nicht zu den gelungenen Beispielen. Der Text und die Figuren weichen nämlich so weit vom Original ab, dass Ibsens ästhetische Ideen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Während Ibsen Gunhild Borkman als vor Scham isolierte alte Frau charakterisiert, ist sie hier dank des Internet mit der Welt vernetzt: Google und Facebook spielen in den ersten Szenen eine prominente Rolle.
Ein wesentlicher Reiz bei der Rezeption von Klassikern ist jedoch die intellektuelle Aktualisierungsarbeit: Was hat der Roman oder das Stück mit der Gegenwart zu tun? Es finden sich immer eine Vielzahl von direkten und indirekten Bezügen. Transponiert man einen Klassiker zu plump in die Gegenwart, nimmt man einerseits dem Publikum dieses grandiose kognitive Vergnügen, und erklärt es andererseits implizit für zu dumm, diese Geistesarbeit überhaupt noch zu erbringen. Deshalb ziehe ich Theatermenschen wie Andrea Breth vor, welche den Text möglichst unangetastet lassen.
Doch selbst die Aktualisierung geht in diesem Fall schief: Borkman selbst ist im Stück ein verknöcherter, verbitterter Ex-Bankdirektor, der wegen Finanzbetrugs fünf Jahre im Gefängnis saß. Ein arroganter Anzugträger. Hier wird er zu einem Clown mit pennerähnlichen Zügen degradiert. Von der Handlung her gesehen gibt es in Zeiten der Finanzkrisen kein aktuelleres Ibsendrama. Die Vorstandsetagen der Banken sind voller machtgieriger und sich selbst überschätzender Borkmans. Hier den Fokus auf eine clowneske Lächerlichkeit zu legen, ist eine vertane Chance.
Von diesen grundsätzlichen Erwägungen abgesehen, funktioniert der Abend intrinsisch einwandfrei. Das Ensemble ist schauspielerisch grandios und die mit Kunstschnee tief bedeckte Bühne gibt die Gelegenheit für so manche Gags. Sehenswert also, wenn man sich keinen Ibsen-Klassiker erwartet.