Andalusien – Das islamische Europa

Oktober 2015

Diese Studienreise liegt nun schon eine Weile zurück, aber wie bei allen meinen Reisen will ich einige Eindrücke festhalten. Ich bereiste viele Länder des Orients, von Marokko bis Usbekistan, bevor ich jene europäische Region besuche, welche der Islam am stärksten prägte: Andalusien.

Das Faszinierende an dieser Weltgegend ist, wie vielseitig die geschichtlichen Bezüge sind. Sie beginnt bei der Alltagskultur, setzt sich in der Architektur- und Kunstgeschichte fort und ist selbst für die Geistes- und Mentalitätsgeschichte Europas maßgeblich prägend. Um mit dem scheinbar Banalen anzufangen: Die Bedeutung des Serranoschinkens für die andalusische Küche bis heute, wäre ohne den damaligen Religionskonflikt undenkbar. Nach der Reconquista gingen viele Moslems in den Untergrund. Eine wichtige Methode, sie zu entlarven, war der verweigerte Verzehr von Schweinefleisch. Die echten Christen demonstrierten brav opportunistisch ihre Zugehörigkeit zum korrekten Katholizismus durch den demonstrativen Konsum von Schinken. Seit dieser Zeit ist es üblich selbst „vegetarische“ Gerichte wie Salte mit Schinken zu garnieren.
Am anderen Ende des Spektrums steht die Bedeutung Andalusiens für die Kulturgeschichte Europas. Als die Omaiyaden nach Cordoba kamen, weil sie von den Abbasiden aus dem Mittleren Osten vertrieben worden waren, begann die kulturelle Blütezeit. Wie alle Blütezeiten war sie von religiöser Toleranz geprägt und gipfelte in grandiosen Kulturleistungen. Nicht nur wurden auf diesem Wege viele antike Klassiker für die Nachwelt erhalten, es entstanden auch Standardwerke zu Mathematik, Astronomie und Medizin, welche viele Jahrhunderte lang für Europa maßgeblich waren.

Dieses Wissen ist natürlich immer präsent, wenn man durch Andalusien reist, ebenso wie die unerfreulichen Folgen der erfolgreichen Reconquista, etwa die berüchtigte Bücherverbrennung in Granada, welche der Erzbischof von Toledo veranlasste, Gonzalo Jiménez de Cisneros. Was bekommt der Reisende so viele Jahrhunderte später noch davon mit? Am offensichtlichsten sind selbstverständlich die architektonischen Einflüsse. Die Altstadt von Cordoba ist bis heute eine von der Anlage her muslimische Stadt. Die als Moschee erbaute Mezquita, deren säulenreicher Innenraum zu den beeinruckendsten zählt, die ich bisher sah, wird natürlich seit langem als Kirche betrieben. Ich werde allerdings das Gefühl nie los, dass diese Zwangschristianisierung so überhaupt nicht zu diesem Gebäude passt. Der alte Religionskonflikt schwelt auch bis in die Gegenwart: Die moslemische Gemeinde nutzte Teile der riesigen Mezquita wieder gerne als Moschee, was der konservative Bischof der Stadt naturgemäß empört zurückweist.
Wer marokkanische Städte kennt, kann sich beim Schlendern durch die Altstadt ausgezeichnet vorstellen, wie das Alltagsleben in Cordoba vor der Rückeroberung ausgesehen haben muss.
Neben den üblichen Sehenswürdigkeiten empfehle ich in Cordoba dringend den Besuch der Casa de Sefarad, die sich mit Kultur & Geschichte der Juden in Cordoba und Andalusien beschäftigt. Es gibt auch sehr gute Führungen dort.

Der zweite islamische Höhepunkt neben Cordoba ist selbstverständlich die Alhambra in Granada, wo sich die orientalische Baukunst am beeindruckendsten präsentiert. Mit zwei Millionen Besuchern ist sie die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Spaniens, weshalb man sich rechtzeitig um eine Eintrittskarte bemühen muss. Diese wiederum hat dann nur ein halbstündiges Zeitfenster währenddessen man die Burg betreten darf. Was die Außenwirkung angeht, trifft es „Burg“ übrigens ziemlich genau. Dicke Wände, kleine Fenster, insgesamt eine abschreckend wirkende Architektur. Desto verblüffender ist der Kontrast zur prächtigen orientalischen Ausstattung im Inneren. Die Kombination aus filigranen Verzierungen, unterschiedlichen optischen Perspektiven, und abwechslungsreichen Innenhöfen (gerne mit Wasserbecken, in denen sich die Architektur spiegelt) sucht weltweit ihresgleichen. Die grandiosen Aussichten auf Granada und das bergige Umland runden diese Eindrücke perfekt ab.

Wer an der Gegenreaktion des christlichen Spaniens interessiert ist, wird speziell in Sevilla fündig. Nicht nur gibt es dort einen der imposantesten Dome des Landes, sondern man kann im Parque de Maria Luisa die Plaza de Espana besichtigen, das in Keramikdarstellungen unter anderem das spanische Imperium verherrlicht.

Eine Denkanregung ganz anderer Art nehme ich ebenfalls noch von meiner Studienreise mit, nämlich das selbst so scheinbar eindeutig ethische Urteile wie die Ablehnung des Stierkampfes durch zusätzliche Informationen ambivalent werden können. So richtig es ist, dass der Akt des Stierkampfes an sich von einer barbarischen Grausamkeit ist, so verändert sich die ethische Gesamtbilanz, wenn man das gesamte Leben eines Kampfstieres betrachtet. Sie werden nämlich in eigenen Zuchtfarmen aufgezogen und zwar in einem für sie optimalen Ambiente. Kurz, sie leben über viele Jahre ein fantastisches Stierleben, dem dann ein halbstündiges brutales Lebensende gegenüber steht. Im Vergleich zum meist von Anfang bis Ende qualvollen Leben der üblichen Zuchttiere, ist so ein Kampfstierleben insgesamt also ethisch deutlich besser zu beurteilen.

Als Fazit sei betont, dass Andalusien sicher eine der intellektuell anregendsten Gegenden ist, die man in Europa besuchen kann. Werde sicher nicht zum letzten Mal dort gewesen sein.

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