Tolstoi: Der Tod des Iwan Iljitsch

Es ist beinahe ein Klischee, dass sich die Weltliteratur mit den großen Fragen des Lebens beschäftigt. Wie alle Klischees, trifft es ab und zu ins Schwarze. So ist Der Tod des Iwan Iljitsch (1886) sicher einer der eindringlichsten literarischen Auseinandersetzungen mit dem Tod. Nicht mit dem Tod im Allgemeinen oder mit dem Tod als Faktor der Geschichte, wie bei Shakespeare, sondern mit dem privaten, individuellen Tod und der damit zusammenhängenden Frage nach dem Sinn des Lebens.

Iwan Iljitsch wird wegen eines banalen Haushaltsunfalls in seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr aus seinem erfolgreichen Leben als Gerichtsbeamter gerissen, und fängt jetzt auf seinem Sterbebett erstmals an, grundsätzlich über sein Leben zu reflektieren. Er erkennt nach und nach die Banalität seiner Biographie und die Oberflächlichkeit seiner Beziehungen – auch innerhalb der Familie. Diese Oberflächlichkeit spiegelt Tolstoi durch die Banalität, mit der sein Sterben im Haushalt gesehen wird, nämlich als ungebührliche Belästigung, die hoffentlich bald vorbei sein wird. Als strukturellen Kontrast verwendet Tolstoi den Diener Gerasim, einen jungen Bauernburschen, der als Einziger den Tod als normales Naturphänomen bewertet und Iwan Iljitsch naiv-treu zur Seite steht.

Räumlich und zeitlich engt sich der Raum der Erzählung immer weiter ein, vom Gerichtsgebäude und Rückblenden bis hin zum Sterbebett und einer intensiven Gegenwart. Wie Tolstoi den Verfallsprozess des Kranken schildert, vom ersten Unwohlsein nach dem Unfall bis hin zur dreitägigen Agonie vor dessen Tod, ist literarische Weltklasse. Ursprünglich wollte Tolstoi aus der Ich-Perspektive erzählen, entschied sich dann aber doch zu einer überwiegend personalen Erzählperspektive. Ein genialer Kunstgriff, da er auf den Leser objektivierend wirkt, und sich damit die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens noch eindringlicher während der Lektüre stellt.

Tolstoi: Der Tod des Iwan Iljitsch (Gesammelte Erzählungen, Insel)

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