Popper wird dieser Tage vom zeitgeistigen „Philosophie“zirkus gerne belächelt. Das ist eine Art Notreaktion, weil seine schlichte Sprache das Gegenteil dessen ist, womit sich Modephilosöphchen wie Peter Sloterdijk gerne vermarkten: Mit einer dunklen, raunenden Sprache. Das hat historische Gründe. Kant schuf eine komplexe, aber im Kern glasklare Philosophie. Verpackt in eine ausgesprochen umständliche Sprache allerdings. Man muss sich durch Kants Diktion kämpfen, um zu seinen philosophischen Konzepten vorzudringen. Kants Ruf war bald legendär, weshalb sich nicht wenige deutsche Philosophen einer ähnlich umständlichen Sprachen bedienten wie Kant. Mit einem kleinen Haken allerdings: Hinter dieser Sprache stecken, ganz anders als bei Kant, oft keine klaren Gedanken mehr.
Im Kopf der intellektuellen Leserschaft entstand deshalb Anfang des 19. Jahrhunderts ein bis heute verhängnisvolles Missverständnis: Dunkle Sprache wurde mit Tiefsinn assoziert, statt korrekterweise mit Unsinn. Religiöse Rhetorik verstärkt dieses Auffassung zusätzlich seit Jahrtausenden. Seit dieser Zeit bedient man sich im deutschsprachigen Raum vorzugsweise einer dunkel-raunenden philosophischen Diktion und lässt sich vom Lesepublikum als tiefen Denker feiern.
Poppers philosophischer Ansatz ist dazu konträr: Er drückt seine komplexen philosophischen Gedanken möglichst einfach aus. Aus den beschriebenen Gründen schließen hier nun viele fälschlich umgekehrt: Wer schlicht schreibt, kann keine „tiefen“ philosophischen Gedanken haben, was natürlich epistemologischer Unfug ist.
In Logik der Forschung (1934) stellte Popper das Denken über die Naturwissenschaften auf den Kopf. Weder Induktion (Empirismus) noch Deduktion (Rationalismus) seien als Beschreibung für die wissenschaftliche Vorgehensweise ausreichend, weil sie, zusätzlich zu logischen Problemen, den kreativen Anteil bei der wissenschaftlichen Hypothesenbildung ignorieren. Diese Hypothesen entstehen meist in einem kreativen Prozess. Wichtig sei, dass sie empirisch gehaltvoll sind, damit sie falsifizierbar sind. Experimentelle und logische Falsifikationsversuche sind laut Popper der Motor der wissenschaftlichen Vorgehensweise. Je intensiver und strenger eine Hypothese diese Falsifikationsversuche übersteht, desto wahrheitsnäher ist diese.
Das beschreibt nun nicht nur soziologisch die Arbeit von Naturwissenschaftlern ziemlich genau, sondern stellt gleichzeitig auch ein plausibles Kriterium für Wissenschaftlichkeit zur Verfügung: Jede wissenschaftliche Behauptung muss falsifizierbar sein.
Ethisch ist diese Ermunterung zur Kritik eng mit der politischen Philosophie Poppers verbunden, welche er 1945 in seinem Buch The Open Society and Its Enemies ausführlich darstellte. In den dreißiger Jahren während des Tiefpunkts des europäischen Nationalismus in Neuseeland geschrieben, handelt es sich dabei um eine philosophische Breitseite gegen geschlossene Gesellschaften, deren erste philosophische Ausprägung Platons Staat war, welchen Popper ausführlich kritisiert. Er plädiert dagegen für eine offene Gesellschaft, in der die Freiheit und Kritikfähigkeit des Einzelnen maßgebliche Elemente sind.
Wer diese und andere von Poppers umfangreichen Hauptwerken nicht lesen will, kann sich durch Sammelbände einen guten Eindruck über dessen Kritischen Rationalismus verschaffen. Einer davon ist Alles Leben ist Problemlösen. Das Buch besteht aus thematisch zusammengestellten Vorträgen, Reden und Artikeln aus einem halben Jahrhundert. Alle sind sehr gut lesbar, auch wenn das Format natürlich einige Wiederholungen bedingt.
Viele Aussagen sind Jahrzehnte alt und gleichzeitig hoch aktuell. So schreibt er 1961 über den Fanatismus:
Diese Lehre, die nicht oft genug wiederholt werden kann, ist, daß der fanatische Glaube immer ein Übel und unvereinbar mit dem Ziel einer pluralistischen Gesellschaftsordnung ist; und daß es unsere Pflicht ist, uns dem Fanatismus in jeder Form zu widersetzen – auch dann, wenn seine Ziele ethisch einwandfrei sind, und vor allem auch dann, wenn seine Ziele die unseren sind.
Die Gefahr des Fanatismus, und die Pflicht, sich ihm dauernd entgegenzustellen, ist wohl eine der wichtigsten Lehren, die wir aus der Geschichte ziehen können.
[S. 159]
In Zeiten der „post-truth politics“, wo Fakten keine Rolle mehr spielen, sondern Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen inzwischen im Mainstream angekommen sind, ist Poppers Philosophie so wichtig wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Zusätzlich gefährden neue Überwachungstechnologien und deren Befürworter freie Gesellschaften ebenso sehr wie die klassischen Totalitarismen.
Die Bändigung unserer Leidenschaften durch die sehr begrenzte Vernünftigkeit, deren wir unvernünftige Menschen fähig sind, ist nach meiner Ansicht die einzige Hoffnung für die Menschheit.
[S. 196]
Wir können uns deshalb nur sehr viele Popper-Leser wünschen.
Karl R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik.