Colson Whitehead: The Underground Railroad

Mein Leseleben dreht sich primär um Klassiker, weil sie meiner langjährigen Erfahrung nach intellektuell und ästhetisch eine weit höhere Trefferquote aufweisen als die Gegenwartsliteratur. Ab und zu überprüfe ich diese Hypothese natürlich anhand eines aktuellen Romans. Meine Wahl fiel Ende des Jahres auf The Underground Railroad. Nicht nur überschlug sich die angelsächsische Kritik mit Lobeshymnen. Das Buch räumte auch jede Menge Preise ab, zuletzt den diesjährigen Pulitzer-Preis für Literatur.

Der Roman hat tatsächlich eine Reihe von Stärken. Die teilweise brutale Handlung spielt in den Südstaaten zur Zeit der Sklaverei. Cora, mehr Mädchen noch als junge Frau, lebt auf einer Plantage in Georgia, wo sie Zeuge und Opfer der damals üblichen Grausamkeiten gegen die Sklaven wird. Das ist handwerklich gut und emotional eindrücklich geschrieben, fügt dem Genre allerdings nichts Neues hinzu. Das ändert sich allerdings als Cora mit einem anderen jungen Sklaven, Caesar, die Flucht gelingt. Whitehead lässt damit das Terrain des realistischen Erzählens hinter sich und überschreitet mehrere Genregrenzen. So ist bei ihm die metaphorisch so genannte Underground Railroad eine tatsächliche unterirdische Eisenbahn. Die diversen späteren Fluchtstationen erinnern vom Setting oft mehr an Science-Fiction-Dystopien als an die historischen Vereinigten Staaten. Das liest sich alles nicht schlecht, kann mich literarisch aber nicht völlig überzeugen. Das liegt zum einen daran, dass Whiteheads Sprache keine Überraschungen bietet und auch nach dem Kippen ins Fantastische ihren realistischen Duktus beibehält. Zum anderen ist der strukturelle Bruch zwischen den beiden Teilen vor und nach der Flucht ästhetisch völlig willkürlich.

Ich hätte also wieder einmal besser daran getan, einen Klassiker zu lesen.

Colson Whitehead: The Underground Railroad (Fleet) [als Hörbuch]

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