Reisenotizen aus Schottland

Mai 2018

Vorgewarnt packe ich zwei Regenjacken und zwei Regenschirme ein und sage mir immer wieder vor: Jeder trockene Tag in Schottland ist ein Glücksfall. Und was wäre Schottland ohne romantischen Nebel und Düsternis wie man es aus zahlreichen Büchern und Filmen her kennt? Alles vergebens! Ich bereise den Norden Großbritanniens zwei Wochen lang bei strahlendem Sonnenschein. Schotten versichern mir mehrmals besorgt, wenn ich Schottland „richtig“ kennen lernen wolle, müsse ich noch einmal kommen. Es sei der sonnigste Mai seit über 20 Jahren. Tatsächlich erinnern Skye und die anderen Inseln mit ihrem satten blauen, leuchtenden Meer mehr an die Karibik als an Nordeuropa.

Erste Station der Reise ist aber Edinburgh. Freunde, die in den neunziger Jahren dort studierten berichten von einer braven, nicht sehr urbanen Provinzstadt. Davon kann keine Rede mehr sein. Ein Spaziergang durch die Innenstadt zeigt, dass es sich Edinburgh nahtlos in die Reihe europäischer Großstädte einreiht. Von der internationalen kulinarischen Szene bis zum Kulturangebot ist kaum mehr Provinzialität zu spüren. Die von mir besuchten Museen, etwa die Scottish National Portrait Gallery sind modern kuratiert. Was mir bereits in den ersten Tagen hier auffällt, wird sich bis zum Ende der Reise ziehen: die Kombination aus nationalem Selbstbewusstsein und Europafreundlichkeit. Abgesehen von einigem Touristenkitsch (Queen!) sehe ich nichts, was mich an England oder Großbritannien erinnert. Dagegen ist sind EU-Symbole fast omnipräsent. Vor vielen Hotels weht die schottische und die EU-Flagge. Mehr als das (sehenswerte!) Edinburgh Castle interessieren mich die Spuren der schottischen Aufklärung und Literatur. Mit David Hume wird einer meiner Lieblingsphilosophen im Zentrum gewürdigt. Ansonsten gibt es ein kleines, aber feines Literaturmuseum in der Altstadt. Drei Autoren werden dort gewürdigt: Robert Burns, Robert Louis Stevenson und Sir Walter Scott. Es sind die üblichen Devotionalien zu sehen.

Selbstverständlich besuche ich auch Walter Scotts Domizil Abbotsford House, ein kleiner Ausflug von Edinburgh entfernt. Die Villa liegt einsam an einem kleinen Fluß und ist komplett zu besichtigen. Vieles ist noch original erhalten und der Höhepunkt ist natürlich die Bibliothek des Schriftstellers. Gut dokumentiert sind auch die vielen prominenten Besucher, welche Scott dort empfing. Intellektuell anregend ist bei der Weiterreise auch St. Andrews, was ja bei vielen Universitätsstädten der Fall ist. Es ist gerade Prüfungswoche und man wird von diversen Schildern aufgefordert, doch bitte keinen Lärm zu machen.

Das erste von vielen besuchten Schlössern ist ist das Blair Castle, der Familiensitz der Herzöge von Atholl. Meine antifeudalen Gefühle werden im Laufe der Reise immer stärker. Ich schlendere durch zahlreiche geschmackvolle eingerichtete Schlösser und denke daran, wie mies es vielen Briten zeitgleich im 19. Jahrhundert ging als diese edlen Einrichtungen angeschafft wurden. Wie so oft geht hier Kultur und Barbarei Hand in Hand bzw. bedingt einander sogar, wenn man die Quellen des Reichtums für den britischen Adel denkt.

Aberdeen ist eine Ölstadt und nutzt diese Millionen anscheinend kompetent, um sich schön herauszuputzen. Ich lese im Vorfeld, dass Schottland ein starkes Jugendalkoholproblem habe. Kurz vor meiner Reise wurde deshalb durch eine neue Steuer der Preis von Billigspirituosen fast verdoppelt. Als ich Samstag noch vor Mitternacht durch die Innenstadt schlendere, kann ich mich selbst davon überzogen. Es sind nicht nur jede Menge betrunkene Menschen unterwegs. Ich sehe auch mehrere Krankenwagen, die sich offenbar um Teenager mit Alkoholvergiftungen kümmern müssen.

Von den drei besuchten Inseln beindruckt mich Iona mit der kleinen, aber eingeschworenen Community am meisten. Angeblich eine ländliche Utopie, aber kulturell wird hier naturgemäß nichts geboten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

code