Leo Löwenthal: Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation

Die menschliche Natur ändert sich ja leider kaum. Schon gar nicht zum besseren. Deshalb sind die Demagogenbeschreibungen des Thukydides heute noch so aktuell wie damals. Deshalb trifft auch Leo Löwenthals nach dem zweiten Weltkrieg erschienene Studie Falsche Propheten heute noch ins Schwarze. Das Anschauungsmaterial sind amerikanische Faschisten aus den dreißiger Jahren, die heute weitgehend aus dem europäischen Bewusstsein verschwunden sind. Sie nahmen sich Mussolini und Hitler als Vorbild für die amerikanische Politik.

Löwenthal seziert diese unappetitlichen Herrschaften aus unterschiedlichen Blickwinkeln und seine analytischen Porträts erinnern frappant an Trump und andere Rechtspopulisten der Gegenwart. Ebenso die sozialen Faktoren, welche sie demagogisch ausnutzen:

Soziale Malaise kann mit einer Hautkrankheit verglichen werden. Der daran leidende Patient hat das instinktive Bedürfnis, sich zu kratzen. Folgt der dem Rat eines erfahrenen Arztes, wird er diesem Bedürfnis nicht nachgeben und statt dessen versuchen die Ursache des Juckreizes zu beseitigen. Gibt er jedoch seinem instinktiven Kratzbedürfnis nach, wird der Juckreiz sich nur noch steigern. Dieser irrationale Akt der Selbstverstümmelung wird ihm zwar eine gewisse Erleichterung verschaffen, verstärkt aber gleichzeitig sein Bedürfnis zu kratzen und verhindert eine erfolgreiche Heilung seiner Krankheit. Der Agitator rät zum Kratzen.

Anstelle einer Vielfalt mehr oder weniger komplexer Situationen, denen man nur mit einer ganzen Reihe von recht differenzierten Ideen gerecht werden kann, will der Agitator die Welt als einen Kampf zwischen zwei unversöhnlichen Lagern verstanden wissen.

In den Themen, die sich auf Unzufriedenheit beziehen, wird das vage, unartikulierte Mißtrauen der Zuhörer stereotyp auf einen ewigen Betrug abgelenkt; ihr Gefühl ausgeliefert zu sein, wird dazu benutzt, den Glauben zu nähren, daß sie das Objekt einer permanenten Verschwörung seien (…) Die Enttäuschung dieser Leute wird verdreht in die Lossagung von Werten und Idealen.

Er steigert die Stimmung von Mißtrauen bei seinen Hörern, indem er diese daran erinnert, daß sie ‚einer Fremdherrschaft unterworfen‘ und daß sie ’ständig von schlimmen Machenschaften bedroht‘ seien. Sie alle ‚werden am laufenden Band betrogen.

Manches kann man fast wortgleich heute noch oft lesen:

Der Agitator verwirft ausdrücklich die Ideale der Universalität. So bezeichnet er Toleranz als ‚dumme Sentimentalität‘, als ’nicht christlich‘ und als eine Schwäche, die um des Überlebens, um des ‚gesunden Selbstinteresses“ willen ausgemerzt werden muss.

Die Feindbilder sind austauschbar, die Mechanismen immer dieselben. Damals waren Juden die Feinde. Heute sind es Flüchtlinge:

Der Feind stellt sich nicht als Gruppe dar, die einem bestimmten objektiven Ziel im Wege steht, sondern als ein grausamer und quälender Machthaber, ein quasi biologisch determinierter Erzteufel von absoluter Bosheit und Verderbtheit. Er ist unassimilierbar, ein Fremdkörper in der Gesellschaft, ohne jede nützliche und produktive Funktion. Nicht einmal theoretisch ist er zu überzeugen. Es gibt keine Brücke, die der Feind aus Reue begehen könnte. Er ist und bleibt böse um der Bosheit willen.

Illiberale Demokratie?

So wird Demokratie aus einem System, das das Minoritätenrecht garantiert, in ein System verwandelt, das den privilegierten Status der Majorität zu bestätigen hat. Die Verfolgung von Minoritäten gehört demnach zu den Rechten der Majorität, und jeder Versuch die Ausübung dieses Rechts zu begrenzen, wird als Verfolgung der Majorität durch die Minorität ausgelegt.

Intellekttuellenfeindlichkeit?

Die Unterstellung, daß in allen intellektuellen Leistungen Verdorbenheit enthalten sei, wird unterstrichen durch den verächtlichen Hinweis auf ‚die Salons der Welterfahrenen, Intellektuellen, der sogenannten akademischen Köpfe‘.

Theorie, Diskussion, Meinungsaustausch seien nur Zeitvergeudung, nichts als ein Hindernis im Kampf um Behauptungen. Die Situation sei zu dringend, als daß sie den Luxus des Denkens erlaube.

Ich wäre versucht, hier das halbe Buch abzuschreiben! Die Lektüre ist gleichzeitig erschreckend und tröstend, ob der Wiederkehr des Immergleichen und dessen Überwindung.

Leo Löwenthal: Zur politischen Psychologie des Autoritarismus. (Suhrkamp)

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