Writings of Ancient Egypt

Altägyptische Literatur zu lesen, ist aus mehreren Gründen nicht einfach: Viele Texte sind nur in Fragmenten überliefert. Die Kultur ist einem modernen Menschen doch sehr fremd, d.h. es fehlt beim nicht einschlägig vorgebildeten Leser das Wissen um den notwendigen Kontext. Toby Wilkinson gibt sich in seiner in der Reihe Penguin Classics erschienenen Anthologie aber große Mühe, diese Probleme zu minimieren. Nicht nur hat er alle abgedruckten Texte neu übersetzt und dabei Lesefreundlichkeit über philologische Genauigkeit priorisiert. Sondern er verfasst zusätzlich auch ausführliche Einleitungen und Kommentare. Nicht am Ende des Buchs, sondern genau dort, wo man sie als Leser braucht. Elf Rubriken präsentieren die wichtigsten überlieferten Textsorten. Darunter sind Autobiographical Inscriptions, Battle Narratives, Letters, Songs und Teachings. Jedes Kategorie wird präzise erläutert. Jeder Text erhält eine eigene Einführung. Klassische belletristische Genres sind in der Minderheit.

Kulturgeschichtlich und anthropologisch ist die Lektüre eine noch größere Fundgrube als von mir erwartet. Einerseits sind die Kontinuitäten ausgesprochen spannend. So drängen sich jede Menge Parallelen zum Alten Testament auf. Das reicht von stilistischen Ähnlichkeiten der Schlachtbeschreibungen bis hin zu inhaltlichen Motiven. So sind nicht nur Schlangen immer wieder ein wichtiges Motiv. In Tales of Wonder spielt ein Magier die Hauptrolle, welcher Wasser bewegen und verschwinden lassen kann. Moses war also nicht der erste mit solchen Superhelden-Tricks.

Was die menschliche Seite angeht, so bekommen wir einmal mehr bestätigt, wie konstant die menschliche Natur in Wahrheit ist. Vieles aus den Lehrschriften für die Kinder der Elite, lernt man heute buchstäblich noch so in Führungskräfte-Seminaren:

If you are powerful, gain respect
through knowledge and pleasant speech.
Do not command unless it befits:
hostility gets you into trouble.
Do not be arrogant.

Es finden sich auch viele berührende Passagen, welche die dunklen Seiten des menschlichen Lebens betreffen:

There is no one wise enough to understand;
there is no one angry enough to protest.
One awakens to pain every day.
My suffering is long and heavy.
The poor man has not the strength to defend himself
against the more powerful.
– Khakheperraseneb

There are no righteous people;
The land is abandoned to the unrighteous.
(…)
„No one is content;
The person one used to walk with, he is no more.
To whom can I talk today?
I am weighed down with misery
For want of a friend.

Ein ein paar tausend Jahre alter Kommentar zum Thema Propaganda und Fake News? Immer gerne!

The mind does not accept the Truth.
There is no patience with the reply to an opinion:
all man loves his own words.
Everyone is crooked to the core;
honest speak has been forsaken.
– Khakheperraseneb

Xenophobie ist auch keine Erfindung der Neuzeit:

I petitioned the Majesty of the Dual King Cambyses concerning all the foreigners who had settled in the temple of Neith, to have them expelled from it … Her Majesty duly commanded that … all their houses be demolished.

Was ethische Regeln angeht, sind viele auch heute noch in Gebrauch. Von sei nicht gierig bis zu nimm Schwächeren nichts weg. Die Zitate zeigen hoffentlich, dass es sich um eine sehr faszinierende und erhellende Lektüre handelt. Eine tolle publizistische Leistung.

Toby Wilkinson: Writings from Ancient Egypt (Penguin Classics)

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