Seit Jahrhunderten wird die Entstehung des Christentums als Heldengeschichte erzählt. Die ersten Christen sind das Opfer brutaler Verfolgungen von hasserfüllten römischen Beamten. Aber gegen alle Widerstände setzen sie sich heroisch gegen die Heiden durch und begründen das christliche Abendland. In der dunklen Völkerwanderungszeit retten wenige Mönche die wichtigsten antiken Bücher vor dem Vergessen und leisten damit einen unschätzbaren Beitrag zur kulturellen Überlieferung.
Diese Erzählung hat nur einen kleinen Haken: Sie hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Genau betrachtet war es umgekehrt. Bis auf wenige Ausnahmen wurden die Christen nur sehr widerwillig von der römischen Bürokratie verfolgt:
In one tale a Roman prefect named Probus asks the Christian on trial before him no fewer than nine times to obey him and escape execution. The prefect begs the Christian to think of his weeping family, to spare himself pain, to go free. „Give up this madness of yours, yield to [your family’s] tears, think of your youth, and offer sacrifice,“ he says. „Spare yourself death“. When the Christian refuses to budge, Probus tries one more time: „At least offer sacrifice for the sake of your children!“
Umgekehrt gibt es diese Milde aber so gut wie nie:
The brief and sporadic Roman persecutions of Christians would pale in comparison to what the Christians inflicted to others – not to mention their own heretics.
Die antike urbane Hochkultur wurde damals nach der christlichen Machtübernahme von den ersten Christen ähnlich barbarisch bekämpft wie heute die Taliban oder Boko Haram die kulturellen Leistungen ihrer Länder bekämpfen. Bewaffnete Pöbelhaufen zerstörten jede Menge antiker Kulturgüter. Die Vernichtung Palmyras lief beispielsweise nicht viel anders ab als vor einigen Jahren durch den IS. Religiöser Fanatiker zogen von Haus zu Haus und verbrannten die besten Bücher der Antike und zerstörten antike Skulpturen. Die letzten Philosophen werden aus Athen vertrieben etc. Die Zahl der belegbaren Vorfälle ist lang.
Diese haarsträubende Geschichte ist es, die Catherine Nixey in The Darkening Age so detailliert wieder gibt, dass einem dieses kulturelle Verbrechen des Christentums sehr plastisch vor das geistige Auge tritt. Sie tut das in Form eines „braven“ Sachbuchs: Sie fasst bereits bekannte Fakten gut lesbar zusammen. Es handelt sich also um keine gelehrte althistorische Studie, welche unerwartete Neuigkeiten ans Tageslicht fördert. Die Fake News der christlichen Geschichtsschreibung kenntlich zu machen, ist allerdings ein ebenso großes publizistisches und aufklärerisches Verdienst wie die inhärente Barbarei von monotheistischen Religionen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Catherine Nixey: The Darkening Age. The Christian Destruction of the Classical World (Macmillan)
Deutsche Ausgabe.
Schöne Zusammenfassung zu einer dringend nötigen Abhandlung!
Leider wird sich diese Wahrheit nicht so schnell verbreiten. Die Nachfahren der Barbaren sind stolz auf das Erbe dieser „christlich-abendländische Hochkultur“, ohne zu merken, dass der Großteil dieser Kultur aus den spärlichen Resten der griechisch-römischen Antike und der Aufklärung stammt. Letztere wird samt sämtlicher ihrer Vertreter dann gerne als Ergebnis der kirchlichen Engstirnigkeit dargestellt und nicht als das nötige Löschwasser gegen das religiöse Feuer der Intoleranz.
Als Kritiker dieser Hochkulturerzählung wird man dann ganz schnell als Verräter der „eigenen Kultur und Werte“ abqualifiziert (gibt im Netz auch weniger nette Bezeichnungen).
Ein Ingenieur, der unlängst Mittelamerika bereiste, berichtet mir vom ersten Eindruck der Bauwerke der indianischen Hochkulturen: „Kein Wunder, dass die Spanier diese Staaten beseitigen mussten. In Europa existierte nichts ansatzweise Vergleichbares und Gott sollte auf ihrer Seite sein?“
Mit besten Grüßen
Thomas Lang
Vielen Dank!