Der in den USA viel gelesene Klassiker ist bei uns viel weniger bekannt. Das ist sehr schade, handelt es sich doch um ein sehr beeindruckendes Leseerlebnis. In dem 1845 erschienenen Buch erzählt der noch sehr junge Frederick Douglass sein bisheriges Leben. Die Besonderheit: Er kam als Sklave zur Welt. Wir haben also die erste Autobiographie eines ehemaligen Sklaven vor uns. Die Lektüre ist denn auch nichts für schwache Nerven. Douglass berichtet ausführlich die selbst erlebten und selbst beobachteten Grausamkeiten. Sadismus, Brutalität und Ausbeutung sind an der Tagesordnung. Es sind vor allem auch die Details, die erschüttern. So galt unter den Sklaven ein Aufseher dann als gut, wenn er sie nur aus Pflichtgefühl auspeitschte und – wie viele andere – keine sadistische Freude daran hatte. Diese Passagen werfen ein deplorables Licht auf die Menschheit. Diese Verbrechen geschehen vor aller Augen und werden als „normal“ wahrgenommen.
Faszinierend macht die Lektüre aber auch, wie Douglass sich letztendlich befreien kann: Mit der Macht des Wortes. Als kleiner Junge kommt er in eine Stadtfamilie. Generell ein weit besseres Sklavenschicksal als auf einer Plantage arbeiten zu müssen. Die Dame des Haus fängt an, dem Jungen das Lesen beizubringen. Ihr Gatte bemerkt es und erklärt ihr in Anwesenheit des Buben, dass es aus guten Gründen streng verboten sei, Sklaven lesen beizubringen.
Mr. Auld found out what was going on, and at once forbade Mrs. Auld to instruct me further, telling her, among other things, that it was unlawful, as well as unsafe, to teach a slave to read. „If you give a nigger an inch, he will take an ell. A nigger should know nothing but to obey his master – to do as he is told to do. Learning would spoil the best nigger in the world. Now,“ said he, if you teach that nigger (speaking of myself) how to read, there would be no keeping him. It would forever unfit him to be a slave. H would at once become unmanageable, and of no value to his master. As to himself, it could do him no good, but a great deal of harm. It would make him discontented and unhappy.“
These words sank deep into my heart.
Der aufgeweckte Junge setzt nun alles daran, heimlich lesen zu lernen, was im letztendlich gelingt. Eine bittere Ironie des Buches ist natürlich, dass Mr. Auld mit seinen Aussagen recht hat, und Douglass schnell sehr unglücklich wird. Als junger Mann bereitet er schließlich seine Flucht vor. Bis dahin ist sein Lebensweg aber noch voller Grausamkeiten. Nach seiner Ankunft im freien Norden wird er schnell prominent und ein wichtiger Protagonist der Antisklavereibewegung.
Literaturgeschichtlich frappant ist, dass wir es hier mit einem echten Bildungsroman zu tun haben. Erschienen in einer Zeit, in der in Europa hoch artifizielle Bildungsromane intellektuell populär waren. Ein wichtiges Buch.
Frederick Douglass: Narrative of the Life of Frederick Douglass. An American Slave New York: Chartwell Books 2015 (Classic Thoughts and Thinkers)