Als 2018 fast alle Sebastian Kurz noch als begnadetes politisches Talent anbeteten, schrieb ich dieses kleine Porträt, das angesichts der zu Tage gekommenen mafiösen Machenschaften als Text gut gealtert ist. Auch Armin Thurnher war von Beginn an sehr skeptisch. Im Gegensatz zu mir beruhte das auch auf persönlichen Erfahrungen mit Kurz, die er diesem essayistischen Buch über den traurigen Zustand Österreichs schildert. Das Autobiographische unterbricht immer wieder die analytisch-polemischen Passagen, ohne das sie jedoch überhand nehmen.
Das politische Personal unserer Republik ruinierte spätestens seit 2017 tatsächlich den letzten Rest an politischer Kultur, insofern ist Anstandslos der perfekte Buchtitel für diese Misere:
Dass selbst das Tun, als wäre man anständig, in Österreich aus der Mode kam, zeigt den Ernst einer Lage, in der es kein moralisches Halten mehr gibt.
Thurnher arbeitet das an zwei der deplorabelsten Figuren unseres Politikbetriebs heraus: Kurz und Sobotka, denen zwei der fünf Kapitel gewidmet sind. Er scheut dabei auch vor deftigen Formulierungen nicht zurück, was konservative Rezensenten schon kritisiert haben, welche die Beschreibung der Zustände offensichtlich mehr stört als die Zustände selbst, zu denen sie brav ihren medienkorrupten Beitrag leisten.
Die Grünen halten dieser Anstandslosigkeit inzwischen seit Jahren mit wenig Widerstand an der Macht. Thurnher nimmt auch hier kein Blatt vor den Mund und bezeichnet das Duo Maurer – Wöginger treffend als Niedertrachtenpärchen der neuen Zeit.
Selbstverständlich kommen die diversen Skandale der letzten Jahre nicht zu kurz und werden exemplarisch abgehandelt. Inzwischen gibt es ja sogar ein ganze Podcast-Reihen, die sich detailliert damit auseinandersetzen. Immer wieder wechselt Thurnher auch auf eine höhere Abstraktionsstufe und versucht das Geschehen im zum Glück ja weltpolitisch völlig belanglosen Österreich in größere Zusammenhänge einzuordnen. Stichworte sind hier Überwachungs- und Finanzkapitalismus.
Eine konzise und gut geschriebene Bestandsaufnahme des aktuellen Österreich.
Armin Thurnher: Anstandslos. Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege (Zsolnay)