Hanno Sauer: Moral. Die Erfindung von Gut und Böse

Im Zeitalter der spezialisierten Ethikstudien in einem einzigen Buch das Thema Moral abzuhandeln, zeugt von Mut. Es ist freilich nicht als akademische Publikation, sondern als umfangreiches Sachbuch angelegt. Sauer startet mit historischen Kapiteln über die Anfänge der menschlichen Moral vor fünf Millionen Jahren und endet mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen Debatten von Wokeness bis Cancel Culture. Beim moralgeschichtlichen Teil fasst Sauer den aktuellen Stand der Hypothesenbildung plausibel zusammen und bezieht auch ohne Scheuklappen evolutionspsychologische Erkenntnisse mit ein. Dass moralisches Verhalten (ich würde ergänzen: auch religiöses) ebenfalls der Selektion unterliegt und kooperatives Verhalten Überlebensvorteile hatte, ist ja auch intuitiv einleuchtend. Wer sich noch nie mit diesen und anderen sozialwissenschaftlichen Grundlagenthemen beschäftigte, bekommt hier eine fast enzyklopädische Einführung in den Diskussionsstand. Zwar liest sich das Buch stellenweise wie eine Fortschrittsgeschichte. Das ständige Thematisieren der dunklen Seite der menschlichen Geschichte setzt aber einen expliziten Kontrapunkt.

Weniger überzeugend finde ich den letzten Teil des Buches über die gegenwärtigen Debatten. Zwar fasst Sauer auch hier die Genese gut zusammen, aber es liest sich insgesamt wie ein gut argumentiertes Meinungsstück und rüttelt damit am Käfig des Sachbuchgenres. Einige LeserInnen dürften sich hier auch provoziert fühlen. Wer einen ausführlichen Einstieg in das Thema sucht, greift mit Moral aber zum passenden Buch.

Hanno Sauer: Moral. Die Erfindung von Gut und Böse (Audible)

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