Juni 2024
Jetzt habe ich so lange mit diesen Notizen gewartet, dass meine Reiseeindrücke bereits etwas verblasst sind. Ich möchte aber trotzdem versuchen, einige festzuhalten.
Als ich mir Goethe und das 18. Jahrhundert als einige der Themen für mein Rigorosum aussuchte, hätte ich nicht gedacht, dass noch mehrere Jahrzehnte vergehen werden, bevor ich mir die “Weimarer Klassik” einmal vor Ort ansehe. Seit einer Ewigkeit auf meiner “to travel” Liste, entscheide ich mich im Mai spontan: Jetzt oder nie!
Nachdem ich mir die Hotelpreise in Weimar ansehe, buche ich in einem Dorf ein AirBNB. Gelegen zwischen Weimar und Erfurt. Das sehr kleine Dorf ist proper. Man hört die Autobahn in der Ferne. Infrastruktur in der Nähe gibt es keine. Der nächste Bäcker ist 4km entfernt, das nächste Restaurant, ein Italiener, sogar 7km. Null Nahversorgung also. Dafür überall Plakate mit älteren Herren nebst AfD Logo. Wahlkampf.
Der erste Kontakt mit Weimar ist sehr positiv. Die Innenstadt ist grün und verkehrsberuhigt. Es gibt sogar umfangreiche autofreie Zonen. Die Lebensqualität scheint hoch zu sein. Die Preise allerdings auch. Zumindest in der Gastronomie verlangt man im deutschen Osten gerne die Wiener Großstadt Preise.
Mein erster Weg führt in die Anna Amalia Bibliothek, ein für Bücherfreunde idyllischer Ort und dank der Portraits und Büsten eine exzellente Einstimmung auf die Weimarer Klassiker. Im Erdgeschoss eine kleine, aber feine Cranach Sonderausstellung. Danach geht es selbstverständlich sofort zu Goethes Wohnhaus, der touristischen Hauptattraktion der Stadt. Es liest zwar fast niemand mehr Goethe, aber die Gedenkstätten sind trotzdem stark frequentiert. Es wäre gelogen, dass es mich gleichgültig ließe, zum ersten Mal in Goethes Räumlichkeiten zu stehen, sein Arbeitszimmer zu inspizieren oder seinen Sterbesessel zu begutachten. Ähnliche Gefühle später beim Promenieren durch Schillers Weimarer Wohnhaus.
Direkt daran anschließend wurde ein großes Goethe-Nationalmuseum errichtet, das sich thematisch mit vielen Facetten seiner Biographie und des kulturellen Kontexts beschäftigt. Die Dauerausstellung ist in Sachen Konzeption & Präsentation alles andere als provinziell. Man setzt auf eine Mischung aus biographischer Chronologie kombiniert mit thematischen Schwerpunkten. Jede Menge Devotionalien naturgemäß! Erwartbar, aber etwas enttäuschend ist die hagiographische Ausrichtung des Museums. Es werden zwar nicht alle negativen Seiten von Goethes Leben & Werk ausgeklammert, aber die kritische Goetheforschung böte inzwischen genügend Stoff, um hier einiges zu vertiefen. Bei der Farbenlehre wird etwa nicht auf den großen Unfug eingegangen, dass Goethe davon überzeugt war, die Widerlegung Newtons gehöre zu seinen größten Lebensleistungen.
Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass die Stiftung Weimarer Klassik mit ihrer App und den zahlreichen Audioführungen die Kulturgeschichte der Stadt auf herausragendem Niveau präsentiert. Eine vergleichbare App würde ich mir auch für Wien wünschen. Sie half mir allerdings nicht, das Grab des armen Eckermann auf dem historischen Friedhof zu finden. Dabei liegt es Luftlinie gar nicht so weit von Goethes Sarkophag entfernt.
In Weimar fülle ich mehrere Tage mit der Weimarer Klassik. Vom auch architektonisch beeindruckenden Goethe- und Schillerarchiv über Schillers Wohnhaus hin zu Herders Wirkungsstätten: Man ist gut beschäftigt. Bezieht man das Umland noch mit ein, reicht eine Woche gar nicht aus, um auch nur das Wichtigste zu würdigen. Ich fuhr nach Ilmenau, aber auch zum Schloss Kochberg. In Jena besichtigte ich das Romantikerhaus und Schillers Wohnstätte.
Selbstverständlich konnte ich nicht nach Thüringen reisen, ohne die Wartburg und das Bach-Museum in Eisenach zu besuchen. Abgesehen vom „genius loci“ hat mich die Wartburg jetzt nicht übermäßig beeindruckt. Dagegen war das Bach-Museum mit den zahlreichen erklärenden Hörstationen in einem modernen Anbau zum historischen Bach-Haus durchaus beeindruckend.
Eigentlich wollte ich mir die Gedenkstätte Buchenwald ersparen. Muss ich doch nicht mehr von den Verbrechen der Nazis überzeugt werden. Ich fahre eines späteren Nachmittag dann doch hin und lasse die Stätte des Hasses auf mich wirken.
Noch deprimierender freilich ist der Besuch der Erfurter Dauerausstellung Topf und Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz. Die Firmeninhaber waren dabei nicht einmal überzeugte Nazis, nur gute Geschäftsleute. Und wer schon in einer Firma gearbeitet hat, wird vieles Wiedererkennen, von Produktverbesserungszyklen, neuen Vertriebsmodellen oder den Streit über Gehaltserhöhungen. Viel besser kann man das amoralische Konstrukt einer Firma nicht vorführen als mit den Dokumenten der Krematorienbauer.
Erfurt ist wie Weimar eine wohlhabende Stadt. Viele Geschäfte und Firmen. Alles bestens renoviert. Die Infrastruktur gut gepflegt. Dass dort dann trotzdem sehr viele AfD wählten, zeigt deutlich, dass ökonomische Erklärungsversuche offenbar nicht ausreichen.
Bei der Rückfahrt lege ich eine Übernachtung in Bamberg ein. Wird dem Ruf einer sehenswerten mittelalterlichen Stadt sehr gerecht.