Burgtheater 22.11. 19
Regie: Martin Kusej
Phillip II.: Thomas Loibl
Elisabeth von Valois: Marie-Luise Stockinger
Don Karlos: Nils Strunk
Parma: Arthur Klemt
Eboli: Katharina Lorenz
Marquis von Posa: Franz Pätzold
Alba: Marcel Heuperman
Grossinquisitor: Martin Schwab
Nach seinem völlig missglücktem Faust [Notiz] hatte ich insgeheim ja die Befürchtung, Martin Kusej hätte in München vielleicht das Inszenieren von Klassikern verlernt. Dieser nach Wien mitgebrachte Don Karlos gibt nun erfreulicherweise Grund für eine Entwarnung. Schillers Text wird im Großen und Ganzen mit Respekt behandelt. Kürzungen sind angesichts der Länge natürlich unvermeidlich. Schiller weist ja selbst auf die Schwierigkeiten hin, sein Werk aufzuführen, und sieht es vor allem als ein Lesestück. Trotzdem bin ich knapp viereinhalb Stunden im Burgtheater.
Zur Vorbereitung lese ich das Stück wieder und bin wieder sehr positiv von dem Text beeindruckt. Schiller publiziert einen Teil des Don Karlos vorab und beklagt sich deshalb in Briefen darüber, dass er bei der Fortsetzung eingeschränkt war. Das erinnert an die Fortsetzungsromane des 19. Jahrhunderts etwa von Dickens und anderen, aber auch an die Serien-Produktion unserer Tage. Ich sehe aber nicht, wie diese „Produktionsbedingungen“ Don Karlos geschadet hätten. Was mich am meisten beeindruckt, ist die geniale politische Ambiguität des Stücks. Einerseits bringt er mit dem Marquis von Posa einen jungen Idealisten ins Spiel. Eine Figur, deren „Realismus“ er in einer Briefserie wortreich verteidigt. Das brutale Scheitern an der politischen Realität verhindert allerdings, dass Schillers politische Konzeption ins Naive umkippt. Nun lässt Schiller aber jene binären Pole nicht so stehen, sondern sich die beiden Seiten raffiniert annähern. Philipp II. ist von Posas Charakter durchaus beeindruckt. Diese temporäre Annäherung der beiden Positionen ist wohl der Hauptgrund für die politische Differenziertheit. Gleichzeit wird diese strukturelle Ambivalenz durch die privaten Verwicklungen samt allen Missverständnissen gespiegelt.
Schauspielerisch ist der Abend hervorragendes Literaturtheater. Es wird klassisch gespielt und deutlich gesprochen, was der Sprache Schillers naturgemäß entgegenkommt. Damit ist ein guter Theaterabend schon fast gesichert. Inszenatorisch wählt Kusej einen minimalistischen Ansatz. Das fängt bei der Beleuchtung an: Die Bühne – und damit das Theater – ist fast immer sehr düster. Meist ist es ein kleines beleuchtetes Rechteck in dem die Schauspieler stehen. Oft sprechen sie aber auch im Dunkeln stehend, also eigentlich aus dem Off. Requisiten auf der Bühne gibt es kaum. In Wahrheit wird also wenig traditionelles Theater geboten. Mir gefällt das besser als erwartet, weil Kusej damit explizit den Text in den Mittelpunkt rückt. Gleichzeitig gibt es einen physischen Eindruck von der inhaltlichen Düsterheit des Dramas.