Das dritte hier besprochene Buch, das ich wegen meiner Studienreise ins Südliche Afrika lese. Einmal mehr bestätigt sich: Ohne meine vielen Reisen läse ich viele tolle Bücher nicht. Meine Erwartungshaltung ist, primär eine politische Autobiographie zu erhalten und selbstverständlich steht dieser Aspekt auch im Mittelpunkt. Überraschend ist für mich aber dann, mit welcher Ausführlichkeit Mandela seine Kindheit und Jugend beschreibt. Er stammt nämlich nicht, was meine intuitive Vermutung war, aus der urbanen Mittelschicht, sondern wächst in einem kleinen traditionellen Dorf auf. Er ist zwar mit dem Chief der Gegend verwandt, für den er als junger Mann später sogar einige Zeit arbeiten wird, wächst aber als ganz normaler Dorfjunge auf. Er beschreibt diesen Alltag, die Stammesrituale und schließlich auch die historischen Spannungen mit den anderen Stämmen sehr extensiv. Was mein Südafrikawissen angeht, habe ich hier am meisten profitiert. Als er dann an eine der wenige für Schwarze offenen Schule und später Universität für sein Studium der Rechtswissenschaften kommt, sind zwei Aspekte auffallend: Einerseits wie groß der britische Einfluss speziell im Bildungswesen und im Rechtssystem war. Andererseits welche (positive) Rolle religiöse Institutionen bei der Bildung der schwarzen Jugend spielten.
Es ist schmerzlich zu lesen, mit welcher Perfidie die Nationalist Party nach dem zweiten Weltkrieg die Apartheid einführt. Vieles war direkt von den Nazis inspiriert. Gleichzeitig bekommt man eine plastische Vorstellung davon, wie heute ein Staat aussähe, könnten AfD, FPÖ und Co. Gesetze nach ihrem politischen Gusto machen.
Der Hauptteil des Buches ist naturgemäß Mandelas Rolle im ANC gewidmet. Sein Aufstieg, seine politischen Erfolge & der von ihm mitorganisierte Widerstand gegen den rassistischen Apartheidstaat werden ausführlich thematisiert. Erst steht gewaltfreie Aktionen im Fokus. Später der Aufbau des militanten Widerstands. Viel Raum nehmen zurecht die großen Prozesse und die damit verbundenen Schikanen ein, die ihn schließlich jahrzehntelang ins Gefängnis bringen. Die Zeit im Gefängnis und der Kampf um Rechte auf Robben Island. Das abstruse Apartheidsystem erstreckte sich natürlich bis in die Gefängnisse hinein. Schwarze hat am wenigsten Rechte, Farbige etwas mehr, am meisten die weißen Gefangenen. Schwarze bekamen etwa kein Brot zum Frühstück, weil es so was in Afrika vor Ankunft der Weißen ja nicht gegeben hätte, und sie mussten kurze Hosen tragen, weil sie vom Status her in diesem rassistischen System mehr als Kinder denn als Erwachsene galten.
Das Ende der Apartheit und die Verhandlungen auf dem Weg dorthin, dominieren den letzten Teil der Autobiographie. Überhaupt erinnert Long Walk To Freedom vom Umfang her mehr an einen dicken Roman des 19. Jahrhunderts als an ein schlankes Memoirenwerk. Mandelas politische Leistung und sein weiser, ausgleichender Charakter, der am Ende zur „Versöhnung“ im Land führt, trägt aber so viel zum Spannungsbogen bei, dass diese Länge gut kompensiert wird.
Für einer Südafrikareise ist das Buch sicher Pflichtlektüre. In einer Zeit, wo die Demokratie immer mehr unter Druck kommt, ist es aber auch für alle politisch wachen Menschen sehr empfehlenswert.
Nelson Mandela: Long Walk To Freedom: The Autobiography of Nelson Mandela (Abacus)