Die Rebellion (Kiepenheuer & Witsch)
Wenn man Romane gerne in Schubladen sortiert, könnte man diesen als sozialkritischen Bildungsroman einordnen. Im Mittelpunkt steht der staats- und regierungstreue Andreas Pum, 45 Jahre alt. Im ersten Weltkrieg für ein verlorenes Bein ausgezeichnet, tritt er mit der Erwartungshaltung in den Nachkriegsalltag, seine Regierung würde sich deshalb um ihn kümmern. Diese hat aber nicht einmal eine Prothese für ihren Helden übrig, so dass sich Andreas mit Tricks eine Leierkastenlizenz besorgt. Sein Leben nimmt eine Wende zum Besseren als er wider Erwarten eine Frau zum Heiraten findet, die den „Krüppel“ freilich nach dem ersten Konflikt gegen einen schmucken Unterinspektor vertauscht.
Jetzt setzt die Abwärtsspirale ein, die Joseph Roth furios mit seiner Erzählkunst in Szene setzt. Er ist ein Meister der personalen Erzählperspektive und läßt uns die Welt mit den Augen des Andreas Pum sehen. Nach einem unverschuldeten Gefängnisaufenthalt kommt es in der Straßenbahn zu einem „Showdown“ mit einem Unternehmer, der Andreas Pum mit Schmähungen überzieht. Der Streit eskaliert und wir finden unseren Weltkriegshelden im Gefängnis wieder. Inzwischen hat er nicht nur den Glauben an seine Regierung verloren, auch von Gott will er nun nichts mehr wissen:
Ich möchte Dich leugnen, Gott, wenn ich lebendig wäre und nicht vor Dir stünde. Da ich Dich aber mit meinen Augen sehe und meinen Ohren höre, muß ich Böseres tun als Dich leugnen: Ich muß Dich schmähen! Millionen meinesgleichen zeugst Du in Deiner fruchtbaren Sinnlosigkeit, sie wachsen auf, gläubig und geduckt, sie leiden Schläge in Deinem Namen, sie grüßen Kaiser, Könige und Regierungen in Deinem Namen, sie lassen sich von Kugeln eiternde Wunden in die Leiber bohren und von dreikantigen Bajonetten in die Herzen stechen, oder sie schleichen unter dem Joch Deiner arbeitsreichen Tage, sonntägliche, saure Feste umrahmen mit billigem Glanz ihre grausamen Wochen, sie hungern und schweigen. Ihre Kinder verdorren, ihre Weiber werden falsch und häßlich, Gesetze wuchern wie tückische Schlingpflanzen auf ihren Wegen, ihre Füße verwickeln sich im Gestrüpp Deiner Gebote, sie fallen und flehen zu Dir, und Du hebst sie nicht auf. Deine weißen Hände müssen rot sein. Dein steinernes Angesicht verzerrt, Dein gerader Leib gekrümmt, wie die Leiber meiner Kameraden mit Rückenmarkschüssen. [XIX]